Station 1: Der Hauptbahnhof

Lassen Sie uns in den Hauptbahnhof hineingehen. Hier möchte ich Ihnen das Laufband zur Erinnerung an die NS-Opfer aus Koblenz und Umgebung zeigen, die in der NS-Zeit vom Hauptbahnhof aus mit dem Zug abtransportiert wurden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Menschen, die in die Konzentrationslager verschleppt wurden, häufig von diesem Bahnhof aus abtransportiert. 

Sie werden es nicht glauben: Damals gab es ganz offiziell Gefangenentransportzüge. Die Wagen waren etwas umgebaut und für Gefangene „hergerichtet“ – im Innern mit Gittern und so. Das waren aber, jedenfalls hier, nicht ganze Züge – mit vielen Gefangenenwagen. Die Züge hatten nur einzelne Gefangenenwagen, die an die normalen Wagen angehängt wurden. Und für diese Gefangentransportzüge gab es ein richtiges Kursbuch, so wie wir auch heute noch Kursbücher kennen: mit verschiedenen Stationen und der Angabe der Ankunfts- und Abfahrtszeit. Die nahmen an den verschiedenen Stationen Häftlinge auf und waren dann mehrere Tage unterwegs. Sie müssen sich also vorstellen, dass hier an jedem Dienstag ein Gefangenenzug – von Trier kommend – um 10.45 Uhr einlief und dann um 12.45 Uhr weiter über Köln ins Ruhrgebiet und dann weiter ins Konzentrationslager Buchenwald fuhr.

 

Das Laufband im Koblenzer Hauptbahnhof zur Erinnerung an die von diesem Bahnhof
und vom Bahnhof in Koblenz-Lützel verschleppten Menschen.

„Von diesem Bahnhof sowie dem ehemaligen Güterbahnhof Koblenz-Lützel wurden“ – wie es auf dem Laufband heißt – „während der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus weit über eintausend Juden und, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, engagierte Christen, Bürgerliche, katholische und evangelische Geistliche, Zeugen Jehovas, Emigranten, Zwangsarbeiter, Homosexuelle, Kriegsdienstverweigerer und andere Opfer verschleppt. Fast immer stand am Ende ihrer Reise der Tod.“

Einen Sonderfall gab es bei der Deportation der Sinti aus Koblenz und Umgebung. Sie wurden in einer großen abgestimmten Aktion von hier aus in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Das war am 10. März 1943. Betroffen waren 149 Sinti – 147 aus Koblenz und Umgebung und zwei aus Trier. Lesen Sie hier den Zeitzeugenbericht des Koblenzer Sinto Daweli (Alfons) Reinhardt, der mehrere Konzentrationslager überlebte und später das erzählte:

Am 10. März 1943 ist unsere ganze Familie – bis auf Lullo, der zuvor schon ins KZ Dachau verschleppt worden war - von Koblenz aus zusammen mit vielen anderen Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden. 

Daweli Reinhardt (3. v.l., hinter ihm sein Vater Karl, in der Mitte seine Mutter Ottilie) im Kernwerk der Feste Franz in Koblenz-Lützel, Anfang der 1940er Jahre.

Das werde ich nie vergessen, obwohl ich damals erst zehn Jahre alt war. Wer so etwas nicht selbst erlebt, kann sich dies beim besten Willen gar nicht vorstellen oder ausmalen. Das, was ich jetzt schildere, habe ich zu einer Zeit erlebt, in der Kinder heutzutage wohlbehütet in der Familie leben und vielleicht im dritten oder vierten Schuljahr die Schule besuchen. Es ist die Zeit der ersten hl. Kommunion.

Auch mein Vater blieb von der Deportation nicht verschont, obwohl er bis zuletzt in Koblenz Soldat war.

Dawelis Vater Karl (r.) als Wachsoldat an der Pfaffendorfer Brücke in Koblenz, um 1940. 

Das half ihm aber auch nicht. Er musste die Uniform ausziehen, wurde aus der Wehrmacht als „wehrunfähig“ ausgestoßen und konnte weder für sich noch für uns die Verschleppung nach Auschwitz abwenden. Die Deportation kam für uns völlig überraschend. Man ließ uns keine Zeit und wir konnten auch nichts mitnehmen, nur das, was wir am Körper trugen. Immerhin hat mein Vater seine Gitarre dabei gehabt. Die Polizeibeamten, die uns abholten, erzählten uns, dass wir uns keine Sorgen machen sollten; wir würden im Osten angesiedelt und bekämen dort einen Bauernhof u.a.m. Welcher Hohn, wenn man bedenkt, was uns im „Osten“ alles widerfahren ist! 

Frühmorgens wurden wir aus der Feste Franz herausgetrieben und auf einem Platz gesammelt. Es war ein Hof, der mit einer kleineren Mauer mit einem aufstehenden schmiedeeisernen Zaun umgeben war. Des öfteren habe ich mich bemüht, diesen Platz wiederzufinden. Das ist mir aber nicht gelungen. In Koblenz ist ja durch den Krieg so viel zerstört und dann anschließend wieder aufgebaut worden, dass man sich manchmal nur schwer zu recht findet. Ich meine aber, dass dieser Hof in der Nähe des Deutschen Eck gelegen hat. Vielleicht war das der Hof einer dort gelegenen Schule. (Wie wir heute wissen, war der Sammelplatz der Sinti der Hof der Hildaschule, Erg. d.A.). 

Hildaschule (heute: Hilda-Gymnasium in Koblenz), gut erkennbar ist auch der Zaun, o.J. (Quelle: Stadtarchiv Koblenz).

Ich erinnere mich besonders an den schmiedeeisernen Zaun, der den ganzen Hof umgeben hat. Denn an diesen kamen Menschen, vor allem waren es Mitschüler von uns, aber auch Erwachsene. Sie fragten uns, was denn mit uns los sei. Als wir ihnen von unserer Festnahme und dem bevorstehenden Transport in den Osten erzählten, konnten sie das nicht fassen. Sie hatten Mitleid mit uns und haben uns auch etwas zu essen zugesteckt. Von den Beamten wurden sie dann weggejagt. Wie lange wir dort auf dem Platz bleiben mussten, weiß ich heute nicht mehr genau. Es kann wohl über Nacht gewesen sein. 

Von diesem Hof aus wurden wir zu Fuß zum Hauptbahnhof getrieben. Dort sind wir in normale Personenzüge eingestiegen. Das waren Wagen mit Abteilen und Sitzplätzen, wie das damals so üblich war. Wir waren aber für uns und wurden von Polizisten bewacht. Zum Abschied von Koblenz habe ich auf der Gitarre meines Vaters gespielt und dazu gesungen. Eines dieser Lieder kam mir – wie selbstverständlich – von den Lippen. Das ging so:

„Eines Abends in der Dämmerstunde sah ich zwei Segelflieger stehn,

eines Abends in der Dämmerstunde sah ich zwei Segelflieger stehn,

und sie sangen so schön, dass zwei Madel blieben stehn,

und sie sangen so schön, dass zwei Madel blieben stehn,

zwei Madel, Flieger, Flieger du allein sollst meine Liebe sein,

zwei Madel, Flieger, Flieger, du allein sollst meine Liebe sein.“

Angekommen sind wir im Osten in Güterwaggons, da bin ich ganz sicher. Ich weiß aber heute nicht mehr, wie sich das so ergeben hat, wann und wo wir von den Personenwagen in Waggons „umgeladen“ wurden.

  Ein deportiertes Sinti-Mädchen, das aus einem Güterwaggon hinausschaut. (Quelle:Wikipedia).

Zuerst kamen wir nach Auschwitz in das so genannte Stammlager, nach Auschwitz I. (…) Von dort brachte man uns schon bald nach Auschwitz-Birkenau. (…) 

  Baracken des Zigeunerlagers des Lagers Auschwitz-Birkenau.
(Quelle: Archiv des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau).
 

Anschließend erhielten wir die Häftlingsnummer. Sie wurde uns – wie das im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz üblich war - eintätowiert. Allerdings erhielten wir „Zigeuner“ im Unterschied zu den anderen Gefangenen nicht fortlaufend die allgemeine Häftlingsnummer. Für uns wurde vielmehr mit der Kategorie „Z“ eine besondere Zählweise begonnen. Wir „Zigeuner“ wurden alle mit dem Buchstaben „Z“ registriert und erhielten dann in dieser Sonderkategorie eine fortlaufende Nummer. Meine Häftlingsnummer war „Z 2252“. Wir hatten keine Namen mehr. Man verkehrte mit uns nur, indem man die Nummer rief. Die Häftlingsnummer trage ich heute noch. Im Sommer, wenn es warm ist und ich ein Hemd mit kurzem Arm anhabe, kann man sie noch gut sehen. 

Wer mehr über das Leben und die Musik Daweli Reinhardts und seiner Familie erfahren will, dem empfehlen wir:

das Buch: Daweli Reinhardt/Joachim Hennig: Hundert Jahre Musik der Reinhardts – Daweili erzählt sein Leben.“ --- ISBN 978-3-934795-24-2.

Das Buch kann HIER in seiner 1. Auflage von dieser Homepage heruntergeladen werden.

HIER die Kurzbiografie von Daweli Reinhardt.

und HIER die Kurzbiografie der Familie Karl Reinhardt.