4. Stolperstein-Rundgang
Von der Schenkendorfschule in der Südlichen Vorstadt zum ehemaligen Polizeipräsidium am Friedrich-Ebert-Ring
Guten Tag, alle zusammen.
Ich begrüße Sie sehr herzlich zu einem weiteren Rundgang in Koblenz zu einigen hier in der Innenstadt verlegten Stolpersteinen.
Mein Name ist Joachim Hennig. Ich habe diesen Rundgang für Sie ausgearbeitet.
Ihr Begleiter durch Koblenz: Joachim Hennig (2022, Foto: Marc Thielen.)
Früher, bis 2013, war ich Richter. Seit 25 Jahren bin ich in der Gedenkarbeit in Koblenz und dann auch im ganzen Land Rheinland-Pfalz aktiv. Solange gibt es auch schon den Förderverein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Koblenz e.V., dessen stellvertretender Vorsitzender ich seit vielen Jahren bin.
Der Treffpunkt zu unserem Rundgang ist die kleine Grünanlage vor der Schenkendorfschule in der Schenkendorfstraße in der Südlichen Vorstadt.
Von hier gehen wir zur Kreisverwaltung Mayen-Koblenz am Friedrich-Ebert-Ring. Dort stand früher das Polizeipräsidium von Koblenz. Auf diesem Weg werden wir an 8 Stationen mit Stolpersteinen Halt machen und mehr über NS-Opfer in und aus Koblenz erfahren. Die Strecke sehen Sie hier als rote Linie auf dem Stadtplan.
Lassen Sie mich hier an der Schenkendorfschule noch einige Worte zum Thema Schulen und Bildung sagen. Die Stolpersteine in Koblenz sind ja vor allem für jüdische Familien verlegt. Diese hatten Kinder, die zur Schule gingen, und auch die Eltern selbst waren oft auch hier zur Schule gegangen.
Die allermeisten jüdischen Kinder besuchten die „christlichen“ Schulen. Es bestand ja Schulpflicht und da es in Koblenz keine jüdische Schule (keine Volksschule, keine Realschule und auch kein Gymnasium) gab, besuchten die jüdischen Schülerinnen und Schüler die „christlichen“ allgemeinbildenden Schule. Es gab für sie nur ergänzenden Unterricht, der in der Synagoge „Bürresheimer Hof“ am Florinsmarkt erteilt wurde. Themen dieser Unterweisung in der Synagoge waren die israelitische Religion, die Geschichte des jüdischen Volkes und die hebräische Sprache.
Entsprechend dem damaligen dreigliedrigen Schulsystem begann die Schulausbildung für alle in der Volksschule. Eine dieser Volksschulen war die Schenkendorfschule, die – wie sie damals hieß – „Katholische Knaben- und Mädchenschule in der Schenkendorfstraße“. Die jüdischen Kinder aus der Südlichen Vorstadt gingen aber nicht in diese Schule, sondern vielmehr in die Evangelische Hohenzollernschule (heute: Berufsbildende Schule Wirtschaft, Standort Hohenzollernstraße).
Hohenzollernschule, um 1910 (Quelle: Stadtarchiv Koblenz).
Zuvor waren diese Kinder übrigens in den Kindergarten der damaligen Hildaschule gegangen.
Viele jüdische Schülerinnen und Schüler wechselten dann nach der 4. Volksschulklasse auf eine weiterführende Schule. Das war für die Jungen das Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (heute: Eichendorff-Gymnasium)
Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (Quelle: Stadtarchiv Koblenz).
und das Kaiserin-Augusta-Gymnasium (heute: Görres-Gymnasium).
Kaiserin-Augusta-Gymnasium, 1894 (Quelle: Wikipedia).
Die Mädchen wechselten auf die Hildaschule (heute: Hilda-Gymnasium)
Hildaschule (Quelle: Stadtarchiv).
Seit der Weimarer Zeit besuchten jüdische Mädchen außer der Hildaschule auch die Ursulinenschule (heute: Bischöfliches Cusanus-Gymnasium).
Ursulinenschule, rechts. (Quelle: Bischöfliches Cusanus-Gymnasium).
Eine gute Schulbildung war den jüdischen Eltern und auch den Jugendlichen selbst sehr wichtig. Sie war eine entscheidende Voraussetzung zur Emanzipation, zum beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg und zu einem Platz im Bildungsbürgertum. Was die Schulbildung den Juden damals bedeutete, illustrieren einige Zahlen:
In Preußen, also auch in der Rheinprovinz, zu der Koblenz damals gehörte, erhielten 1906/07 nur 8 Prozent aller Kinder einen über den Abschluss der Volksschule hinausgehenden Unterricht. Bei jüdischen Kindern betrug dieser Anteil 59 Prozent. Und in den Großstädten lag dieser Prozentsatz noch höher: In Berlin besuchten 67 Prozent aller jüdischen Kinder weiterführende Schulen, in Frankfurt am Main waren es 86 Prozent und in Hamburg sogar 96 Prozent.
Dieser sehr hohe Anteil jüdischer Schülerinnen und Schüler in weiterführenden Schulen änderte sich schlagartig mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Als eine sehr frühe Maßnahme schränkten sie den Besuch der Schulen und Hochschulen sehr stark ein. Schon im April 1933 erließen die Nazis das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ und führten damit einen Numerus Clausus für jüdische Kinder ein. Danach durften alle Schulen (außer den Pflichtschulen) und Hochschulen nur noch 1,5 Prozent jüdische Schüler und Studenten neu aufnehmen.
Nach weiteren Schikanierungen und Diskriminierungen vor allem im Schulalltag kam nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 („Reichspogromnacht“) das gänzliche Aus für jüdische Schülerinnen und Schüler. Ab dann durften sie von einem Tag auf den anderen Tag keine öffentlichen Schulen mehr besuchen. Ihnen standen – soweit vorhanden – nur noch jüdische Schulen bzw. von den jüdischen Gemeinden organisierter Unterricht offen. Zur Begründung für den Ausschluss jüdischer Kinder vom Schulbesuch hieß es: „Nach der ruchlosen Mordtat von Paris (gemeint ist das Attentat des jungen Juden Herschel Grynszpan auf dem Botschaftssekretär Ernst vom Rath am 7. November 1938 in Paris, das für die Nazis der Vorwand für den Novemberpogrom war) kann es keinem deutschen Lehrer mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, dass es für deutsche Schüler unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.“
Das war das Ende der Allgemeinbildung für jüdische Schülerinnen und Schüler. Damit wollen wir nun unseren Treffpunkt Schenkendorfschule verlassen und uns auf den Rundgang zu den Stolpersteinen in Koblenz begeben.