3. Station: Hohenzollernstr. 89 - Ella Löwenthal und Tochter Ellen-Ruth

Wir überqueren an der Ampel die Schenkendorfstraße und gehen die Hohenzollernstraße in Richtung Innenstadt entlang. Bald erreichen wir das Haus Hohenzollernstraße 89.

Hier liegen zwei Stolpersteine für Ella und Ellen-Ruth Löwenthal.

Stolpersteine für Mutter Ella Löwenthal, geb. Koppel, und Tochter Ellen-Ruth. 

Die beiden Steine erinnern an Mutter Ella Löwenthal und ihre Tochter Ellen-Ruth. Die jüdische Familie Löwenthal kam zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nach Koblenz. 

Der 1891 in Essen geborene Vater Julius ging jedenfalls Anfang des 20. Jahrhunderts hier zur Schule und machte im Jahr 1911 am Kaiser-Wilhelm Realgymnasium (heute: Eichendorff-Gymnasium) Abitur. Anschließend studierte er bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges Rechtswissenschaften. 1914 wurde er Soldat. Schwer verwundet kehrte er aus dem Krieg zurück. Sein Jurastudium nahm er nicht wieder auf, sondern wurde Bankbeamter. 

In jenen Jahren lernte er seine Frau Ella kennen. Sie war eine geborene Koppel und am 26. Juli 1901 in Kobern (heute: Kobern-Gondorf) geboren. Am 28. September 1926 kam die Tochter Ellen-Ruth, das einzige Kind der Eheleute, in Koblenz zur Welt. 

Vater Julius litt körperlich und psychisch sehr unter den Folgen der ihm zugefügten Kriegsverletzung. Er engagierte sich im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und war eine Zeitlang ihr Vorsitzender. 

Gegründet wurde dieser Bund unmittelbar nach dem Krieg und war ein Traditionsverein der jüdischen Soldaten, der für den Zusammenhalt der Soldaten sorgte. Insbesondere hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, das Andenken an die gefallenen jüdischen Soldaten wachzuhalten. Denn schon während des Krieges wurden die Juden dafür geschmäht, dass sie sich vor dem Kriegsdienst gedrückt hätten und überhaupt nicht vaterländisch gewesen seien. Das waren Fake News, sie wurden bewusst zur Diffamierung der Juden verbreitet. Tatsächlich waren viele Juden Soldaten im Ersten Weltkrieg. 12.000 jüdische Soldaten fielen für ihr Vaterland. 

Anzeige des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten zur Ehrenrettung der jüdischen Soldaten.

Gegen diese Hetze und gegen die antisemitische Hetze insgesamt kämpfte der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten mit seinen Möglichkeiten an. Viel Erfolg war ihm – wie wir heute wissen – nicht beschieden. Der in der Bevölkerung seit Jahrzehnten wabernde Antisemitismus wurde immer populärer und half mit, die Nazis groß werden zu lassen.

Julius Löwenthal erlebte ihre Machtübernahme nicht mehr. Er starb im Jahr 1931 mit 39 Jahren an den Folgen der Kriegsverletzung.

Seine Witwe Ella betrieb inzwischen hier in der Hohenzollernstraße 89 ein Feinkostgeschäft und erzog die Tochter Ellen-Ruth allein. Ellen-Ruth war befreundet mit der gleichaltrigen Irene Schönewald, die ebenfalls Halbwaise war und mit ihrer Mutter Bertha in der Bahnhofstraße 27 wohnte. 

Im Feinkostgeschäft Löwenthal in der Hohenzollernstraße 89: Ellen-Ruth sitzend im Sessel, an der Theke ihre Freundin Irene Schönewald,
hinter der Waage höchstwahrscheinlich die Inhaberin Ella Löwenthal, Anfang der 1930er Jahre. 

Im April 1932 (damals begann das neue Schuljahr noch nach Ostern) wurde Ellen-Ruth zusammen mit ihrer Freundin Irene eingeschult. 

Das Foto zur Einschulung zeigt in der 2. Reihe von unten in der Mitte mit der dunklen Jacke und dem weißen Kragen Ellen-Ruth
(ziemlich griesgrämlich) und in der Reihe ganz links Irene Schönewald. 

Ellen-Ruth machte ihrer Freundin Irene auch einen Eintrag in deren Poesiealbum.

Im Poesiealbum von Irene Schönewald der Eintrag von Ellen-Ruth Löwenthal.
Er lautet: „Kurz und gut, mein/Wunsch ist klein. Immer/sollst du glücklich sein.
/Zum freundl. Geden/ken an deine/ dich liebende Freundin/Ellen-Ruth Löwenthal. - Koblenz, den 24.3.35.“

Wie es Mutter Ella und Tochter Ellen-Ruth dann erging, ist unbekannt. Es ist davon auszugehen, dass sie die vielfältigen Schikanen und Diskriminierungen, von denen die Juden in immer stärkerem Maße betroffen waren, ebenfalls erleiden mussten. Der Feinkostladen der Löwenthals wurde sicherlich boykottiert. In der „Judenliste von Koblenz“ vom Mitte September 1935 ist er nicht mehr aufgeführt. Unbekannt ist, ob beim Novemberpogrom 1938 (der sog. Reichspogromnacht am 9./10. November 1938) auch die Wohnung der Löwenthals verwüstet wurde. Mit Sicherheit durfte Ellen-Ruth – wie alle jüdischen Schülerinnen und Schüler – nach dem Novemberpogrom keine öffentliche Schule mehr besuchen. Der Pogrom war dann für Mutter Ella Löwenthal Anlass, ihre Flucht und die ihrer Tochter vorzubereiten. Eine Emigration gelang ihnen aber nicht. 

Letztes Foto von Ellen-Ruth Löwenthal.

Am 22. März 1942 wurden Mutter Ella und Tochter Ellen-Ruth Löwenthal von Koblenz aus „nach dem Osten“ deportiert. Vorausgegangen waren der streng geheime, bisher nicht bekannte Befehl zum Holocaust, und die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 in Berlin, auf der der Völkermord an den europäischen Juden in organisatorischer Hinsicht besprochen wurde. Die Deportation am 22. März 1942 war in Koblenz die erste von insgesamt 7 sieben Deportationen. Diese erfolgten - wie bereits erwähnt - von dem Nebenbahnhof in Koblenz-Lützel.

Deportiert wurden 338 Menschen jüdischer Herkunft aus Koblenz und dem damaligen Landkreis Koblenz. Das Ziel war das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin in dem von Deutschland besetzten Polen, dem Generalgouvernement.  

Karte (1941/1942) des von Hitler-Deutschland ("Großdeutsches Reich") besetzten "Generalgouvernements" mit dem Distrikt Lublin.
Darin das mit einem „Stern“ gekennzeichnete Durchgangsghetto Izbica.

Die Fahrt dorthin dauerte mehrere Tage – ohne Essen, ohne Trinken, unter ganz schlimmen hygienischen Verhältnissen. Wer diese überlebte, kam dann in das Dorf Izbica. Dort hatten die deutschen Besatzer kurz zuvor für die Juden aus dem Westen Platz gemacht, indem man viele einheimische Juden in das nicht weit entfernt gelegene Vernichtungslager Belzec transportiert und mit Motorabgasen ermordet hatten. Die Juden von hier nahmen zusammengepfercht deren Stelle im Dorf ein. Sie lebten unter extrem schwierigen Verhältnissen mit den verbliebenen einheimischen Juden zusammen, waren der Willkür der SS und anderen Bewachern ausgesetzt. 

Das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin im Generalgouvernement (Quelle: Wikipedia).

Wer das alles überlebte, wurde im Oktober 1942 im Zuge der sog. Aktion Reinhard in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt. 

Karte (1941/1942) des von Hitler-Deutschland ("Großdeutsches Reich") besetzten "Generalgouvernements" mit dem Distrikt Lublin, 
darin das mit einem „Stern“ gekennzeichnete Vernichtungslager Sobibor.

 

Der Weg der Deportierten von der Rampe an der Nebenstrecke der Eisenbahn in den Tod in die Gaskammern des Vernichtungslagers Sobibor. 


In den Gaskammern des Vernichtungslagers Sobibor wurden schätzungsweise 150.000 bis 250.000 Juden mit Motorabgasen ermordet. Nur wenige konnten fliehen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges überlebten nur 47 Menschen jüdischer Herkunft. Ella und Ellen-Ruth Löwenthal waren nicht unter ihnen. 

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Ella Löwenthal, geb. Koppel
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).