1. Station: Schenkendorfstr. 14 - Alfred Schlochauer

Wir gehen jetzt nach rechts die Schenkendorfstraße ein Stück weit entlang. Nach wenigen Schritten kommen wir zum Haus Schenkendorfstraße 14.

Hier liegt ein Stolperstein für Alfred Schlochauer. 

Alfred Schlochauer wurde im Jahr 1872 als Sohn jüdischer Eltern geboren. Nach seiner Schulzeit und mutmaßlich einem Studium der Architektur trat er im Jahr 1898 in die preußische Staatshochbauverwaltung ein. Seine Einstellung erfolgte als Regierungsbauführer, dann wurde er Regierungsbaumeister, Baurat und Regierungs- und Baurat. 

Verheiratet war Alfred Schlochauer mit einer Nicht-Jüdin. Die Eheleute hatten einen Sohn, Hans-Jürgen. Wiederholt leistete er Militärdienst, zunächst als sog. Einjährig-Freiwilliger und dann im Ersten Weltkrieg bei Kämpfen am Sereth und in Rumänien. 

Nach Kriegsende war Schlochauer Regierungs- und Baurat bei der Regierung in Schleswig. Zum 1. September 1920 versetzte man ihn an die Regierung in Koblenz. 

Während der französischen Besatzungszeit wurde er von der Rheinlandkommission im Oktober 1923 aus Koblenz ausgewiesen. Seinen Dienst versah er dann ein Jahr lang bei der Regierung in Magdeburg, Nach Aufhebung der Ausweisung kehrte er im Herbst 1924 nach Koblenz zurück. 1925 wurde er zum Oberregierungs- und -baurat ernannt. 

In dieser Zeit erkrankte seine Ehefrau an einem Nervenleiden. Daraufhin lebten die Eheleute getrennt. 

Schon kurz nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten, ihre antisemitische Rassenideologie in die Praxis umzusetzen. Eine Woche nach dem von ihnen am 1. April 1933 reichsweit propagierten „Judenboykott“ erließen sie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Dieses enthielt als erstes einen „Arierparagrafen“ (§ 3 Abs. 1: „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand [§§ 8ff.] zu versetzen.“) und schloss jüdische Beamte vom Beamtenberuf aus. Aktive Beamten wurden aus dem Dienst entlassen und angehende nicht mehr eingestellt. Von diesem Berufsverbot war Alfred Schlochauer (noch) nicht betroffen. Für ihn als „Alt-Beamter“ galt die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 des Gesetzes: „Abs. 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind.“).

Aber schon 2 ½ Jahre später traf es dann auch Alfred Schlochauer. Inzwischen war auf dem „Parteitag der Freiheit“ in Nürnberg am 15. September 1935 das „Reichsbürgergesetz“ erlassen worden, das die Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradierte. In Ausführung dieses Nürnberger Rassengesetzes erging die 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935. Sie bestimmte in § 4 Abs. 2 kurz und bündig: „Jüdische Beamte treten mit Ablauf des 31. Dezember 1935 in den Ruhestand.“ Damit wurde Schlochauer mit 63 Jahren vorzeitig und gegen seinen Willen aus dem Dienst entfernt

Das brachte ihn in nicht vorhersehbare finanzielle Schwierigkeiten, leistete er doch seiner getrennt lebenden Ehefrau und seinem seit 1933 stellungs- und erwerbslosen Sohn, der inzwischen verheiratet und Vater eines Kleinkindes war, Unterhalt. Zu seinen Sparmaßnahmen gehörte, dass er aus seiner teureren Wohnung in der Kurfürstenstraße in die preiswertere Wohnung hier in der Schenkendorfstraße 14 umzog. 

Auch bemühte sich Schlochauer um eine Nebentätigkeit als Außendienstmitarbeiter bei einer Bausparkasse. Auf Anfrage teilte sein früherer Dienstherr, die Regierung in Koblenz, der Bausparkasse mit, dass er während seiner aktiven Beamtenzeit in verschiedenen Zweigen der preußischen Staatshochbauverwaltung tätig und ein fähiger Beamter mit guten Leistungen gewesen sei. Weiter verwies die Regierung Koblenz auf Schlochauers „nichtarische Abstammung“ und gab zu bedenken, ob die Bausparkasse ihn deswegen im Außendienst verwenden könne. Ob er eingestellt wurde, ist nicht bekannt.

Von den schlimmsten Schikanierungen und Diskriminierungen blieb Alfred Schlochauer verschont. Das lag daran, dass er mit einer „Arierin“ verheiratet war und mit ihr in „Mischehe“ lebte. So musste er – anders als viele Koblenzer Juden – nicht in ein „Judenhaus“ umziehen, sondern konnte in der frei gewählten Wohnung hier in der Schenkendorfstraße weiterwohnen. Auch blieb ihm nach der Einführung der Kennzeichnungspflicht für Juden erspart, den „Judenstern“ zu tragen.

Diese „Mischehe“ gab Alfred Schlochauer aber keinen Schutz mehr vor der Deportation „nach dem Osten“. Vielmehr wurde er mit der 4. Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung am 27. Juli 1942 in das „Altersghetto“/Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. 

Diese und andere Deportationen des Jahres 1942 erfolgten auf der Grundlage der sog. Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942. Auf dieser war – wie es in dem Protokoll dazu hieß - vereinbart worden, dass „Juden im Alter über 65 Jahren nicht zu evakuieren, sondern sie einem Altersghetto - … Theresienstadt – zu überstellen (seien).“ Damit drohte dem 69 Jahre alten Schlochauer die Verschleppung nach Theresienstadt. Sie erfolgte auch – ohne dass die „Mischehe“ ihn davor bewahrte. Denn dies war nach der Besprechung bei der Wannseekonferenz möglich. In dem Protokoll hieß es unter der Überschrift „Ehen zwischen Volljuden und Deutschblütigen“: „Von Einzelfall zu Einzelfall muss hier entschieden werden, ob der jüdische Teil evakuiert wird, oder ob er unter Berücksichtigung auf die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf die deutschen Verwandten dieser Mischehe einem Altersghetto überstellt wird.“ 

Im Fall von Alfred Schlochauer entschied sich die Gestapo Koblenz für dessen Deportation in das „Altersghetto“/Konzentrationslagers Theresienstadt. Entscheidend dafür war sicherlich, dass die Eheleute Schlochauer seit vielen Jahren getrennt lebten und die „arische“ Ehefrau nervenkrank war. 

Schlochauer wurde mit 78 anderen Menschen jüdischer Herkunft aus dem Stadt- und Landkreis Koblenz vom Bahnhof Koblenz-Lützel verschleppt. 

 

Ausgangspunkt für die von Koblenz erfolgenden Deportationen von Juden „nach dem Osten“: der Bahnhof von Koblenz-Lützel, heute. 

 

Vorder- und Rückseite der Karteikarte der Gestapo betr. Alfred Schlochauer
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen). 

Alfred Schlochauer überlebte den Transport und die erniedrigende, menschenverachtende Behandlung in Theresienstadt nur um ein halbes Jahr. Er starb am 8. Februar 1943.

Todesfallanzeige des Ältestenrats von Theresienstadt betr. Alfred Schlochauer (Quelle: Yad Vashem).

Karteikarte des „Altersghettos“ Theresienstadt betr. Alfred Schlochauer
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).