9. Station: Rizzastraße 22 - Eheleute Wilhelm und Jenny Kahn

Wir wenden uns um und überqueren die Rizzastraße. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig steht in der Rizzastraße 22 das Hotel Brenner.

Das Hotel Brenner, Rizzastraße 22. 

Vor den Hotel Brenner in der Rizzasstraße 22 liegen zwei Stolpersteine für die jüdischen Eheleute Wilhelm und Jenny Kahn, geb. Salomon.

Stolpersteine für die Eheleute Wilhelm und Jenny Kahn. 

Die jüdischen Eheleute Kahn stammten aus der Osteifel, Wilhelm Kahn war 1879 in Kottenheim geboren, seine Frau Jenny, geb. Salomon, 1888 in Kruft. Wilhelm Kahn war Unteroffizier im Ersten Weltkrieg, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz. Nachdem er 1916 bei Verdun schwer verwundet worden war, kam er 1916 ins Kriegslazarett in Koblenz. 

Die Eltern Wilhelm und Jenny Kahn.Vater Kahn als Soldat im Erstern Weltkrieg.

Er blieb in Koblenz, heiratete und betrieb dann ein Großhandelsgeschäft mit Mehl. 1920 kam Tochter Margot, 1922 Sohn Rudolf (Rudi) zur Welt. 

Familie Kahn vor der Auswanderung der Kinder Rudolf (Rudi) und Margot.

Nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 ging das Geschäft Wilhelm Kahns schlagartig zurück. Die meisten Bäcker, die bei ihm Kunden waren, hatten Angst, mit ihm als Juden weiter in Verbindung zu stehen. 

Titelblatt des Koblenzer Nationalblatts vom 1. April 1933 zur Propaganda für den „Judenboykott“.

So blieb Wilhelm Kahn nichts anderes übrig, als 1934 seinen Großhandel aufzugeben. Um die Existenz der Familie zu sichern, beantragte und erhielt seine Ehefrau Jenny die Erlaubnis, Juden, die nicht mehr die allgemeinen Restaurants besuchen durften, Mittagsmahlzeiten zu verabreichen. Diese Erlaubnis wurde aber schon nach zwei Wochen widerrufen. Zur Begründung hieß es, es dürften nicht mehr als drei Juden zusammenkommen.

Am frühen Morgen des 10. November 1938 gerieten die Kahns - wie viele Koblenzer Juden – in den Novemberpogrom („Reichspogromnacht“). Um 6 Uhr morgens verschaffte sich eine Gruppe SA-Leute und weiterer Pöbel Zutritt zur Wohnung. Sie stürzten sich mit Äxten auf Spiegel und Möbel, zertrümmerten die Einrichtung und den Hausrat, nur einige Teller blieben ganz. Die Eltern Kahn, Tochter Margot und ein zufällig anwesender Freund der Familie wurden auf die Straße gezerrt und zur Gestapozentrale in Koblenz gebracht. Ein jüdischer Nachbar, der die Zerstörungen und Verhaftungen mitbekam, erlitt einen Herzschlag und war sofort tot.

Das Gestapo-Gebäude in Koblenz „Im Vogelsang“.

Mutter Jenny und Tochter Margot wurden bald freigelassen. Als Margot dann zur Schule, der Ursulinenschule (heute: Bischöfliches Cusanus-Gymnasium), gehen wollte, wurde sie wieder nach Hause geschickt. Das war für sie als jüdisches Mädchen ihr letzter Schultag – drei Monate vor dem Abitur. 

Vater Kahn blieb - anders als anderen Juden - eine Verschleppung in ein Konzentrationslager erspart. Nach fünf Tagen entließ man ihn aus der Gestapohaft, - wegen der Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz für seine Tapferkeit im Ersten Weltkrieg.

Tochter Margot sah für sich keine Perspektive mehr und reiste im März 1939 mit Hilfe der Organisation „Domestic Permit“ nach England aus. Dort in London arbeitete sie eine Zeitlang als Dienstmädchen und als „Mothers Helper“. Wenige Monate später gelang auch Bruder Rudi die Flucht. Mit einem Kindertransport kam er nach England und dann ebenfalls nach London.

Zurückblieben die alten Eltern. Sie hatten in der Rizzastraße 36 gewohnt, mussten dann aber – wie viele Koblenzer Juden - in ein Judenhaus umziehen, sie hier in das in der Rizzastraße 22. 

Zwei Karteikarten der Gestapo Koblenz betr. Wilhelm Kahn
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen). 

Die Eltern hielten noch Briefkontakt zu ihren in England lebenden Kindern. Es waren aber stets nur kurze Mitteilungen. So hieß es in einer Nachricht vom 19. November 1940: „Liebe Margot, Rudi! Wir sind wohl und munter. Von Julius keine Nachricht. Bleibt gesund und brav. Bitte weitere Nachricht. Grüße, Küsse, Vater u. Mutter, Willi“. – Am 3. März 1942 schrieben die Kinder: „Liebste Eltern, warum so lange ohne Nachricht, hoffen euch beide gesund und wohlauf. Wir beide gesund und munter, erwarten bald Nachricht. Grüße, Küsse, Margot, Rudi.“

Wenige Tage später gingen die Eltern Wilhelm und Jenny Kahn „auf Transport“. Mit der 1. Deportation am 22. März 1942 verschleppte man sie mit 336 anderen Menschen jüdischer Herkunft aus der Stadt und dem Landkreis Koblenz „nach dem Osten“, in das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin im von den Deutschen besetzten Polen, dem „Generalgouvernement“. Von dort erhielten die Kinder Margot und Rudi unter dem Datum des 22. April 1942 eine letzte Nachricht der Eltern: „Liebste Kinder! Unsere Adresse: Izbica/Distrikt Lublin, Generalgouvernement. Sind gesund. Ersehnen nur Euer Wiedersehen. Julius Mutter besorgt, ohne Nachricht. Herzlichste Grüße, Küsse, Vater, Mutter, Wilhelm Kahn.“ 

Kurz darauf schickte Tochter Margot den Eltern über das Amt des Generalgouvernements eine „Rote-Kreuz-Message“. Sie kam zurück mit dem Bemerken, dass die Empfänger der Nachricht dort nicht (mehr) wohnten.

Wenn Sie mehr über die jüdische Familie Kahn erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen
HIER die kurze Biografie von Margot und Rudi Kahn