8. Station: Rizzastraße 27 - Familie Siegfried Cohn
Wir gehen jetzt die Roonstraße weiter, biegen in die nächste Querstraße, die Südallee, nach rechts ein und gehen auf der linken Straßenseite bis zur nächsten Querstraße, der Rizzastraße weiter. Nach einigen Schritten auf der linken Straßenseite bleiben wir vor dem Haus Rizzastraße 27 stehen.
Hier liegen sechs Stolpersteine für die jüdische Familie Cohn: für den Vater Siegfried, die Mutter Selma, die Brüder Walter und Kurt und die Tochter Anneliese, verheiratete Fröhlich, und deren Ehemann Robert Fröhlich.
Stolpersteine für die Familie Cohn.
Vater Siegfried Cohn stammte aus dem westfälischen Bonenburg. Nach Schulausbildung und kaufmännischer Lehre kam er nach Koblenz und wurde hier Leiter der Schuhabteilung des Warenhauses Leonhard Tietz AG. Anschließend wechselte er als Geschäftsführer in das Schuhhaus Gebr. Fischel im Entenpfuhl 4-6.
Schon bald übernahmen die Eheleute das in finanzielle Schwierigkeiten geratene Geschäft. Während des Ersten Weltkrieges, in dem Siegfried Cohn Soldat war, führte es seine Frau allein. Die Eheleute hatten drei Kinder: Walter (*1910), Kurt (*1915) und Anneliese (*1923). Mit großem Fleiß und Geschick machten sie – mit 50 bis 60 Angestellten – den Betrieb zum größten Spezialschuhgeschäft zwischen Köln und Frankfurt/Main.
Nach der Machtübernahme der Nazis am 30. Januar 1933 mit dem anschließenden „Judenboykott“ und persönlichen Drohungen ging der Betrieb deutlich zurück.
Die „Judenliste“ von Koblenz („Kauft nicht bei Juden“) mit dem Schuhgeschäft Gebr. Fischel im Entenpfuhl 4.
Die Situation für die Familie Cohn wurde in Koblenz immer unerträglicher. Deshalb schickten sie ihre 13-jährige Tochter Anneliese in die Schweiz.
Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Anneliese Cohn
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).
Im Frühjahr 1938 verstärkten die Nazis den Druck auf das Geschäft. Die beiden Söhne, die ebenfalls im Betrieb arbeiteten, sahen keine Perspektive mehr und bereiteten ihre Emigration vor. Im Mai 1938 blieb den Eheleuten Cohn nichts anderes übrig, als das Geschäft dem Nazi und „PG“ (Parteigenosse) Toni Fey zu einem Bruchteil seines Wertes zu verkaufen. Im September 1938 gelang dem älteren Sohn Walter die Ausreise in die USA.
Karteikarte (Vorder- und Rückseite) der Gestapo Koblenz betr. Walter Cohn
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).
Beim Novemberpogrom 1938 („Reichspogromnacht“ am 9./10. November 1938) stürmten SA- und Gestapoleute das von den Cohns bewohnte Haus hier in der Rizzastraße. Anschließend zerstörten sie die gesamte Einrichtung und den Hausrat. Zuvor hatten sich die Eheleute vor dem Mob noch in die Rheinanlagen retten können. Ihr jüngerer Sohn Kurt wurde festgenommen und – wie 30.000 andere Juden auch – in Konzentrationslager verschleppt. Kurt kam am 15. November 1938 in das KZ Dachau bei München.
Zugangsbuch des Konzentrationslagers Dachau mit dem Eintrag von Kurt Cohn am 15. November 1938, Häftlingsnummer 27.008
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).
Ende November 1938 wurde Kurt Cohn aus dem Konzentrationslager entlassen, umgehend floh er nach Australien.
Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Kurt Cohn
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).
Im Sommer 1939 heiratete Tochter Anneliese den Diplomingenieur Robert Fröhlich und zog zu ihm nach Köln.
Unterdessen gingen die Schikanen der Koblenzer Gestapo weiter. So durchsuchte sie im Oktober 1939 das von den Eheleuten Cohn bewohnte Haus hier in der Rizzastraße. Nach Darstellung der Gestapo fand sie „erhebliche Mengen Wäschestücke und Schuhe (neue Anschaffung)“. Die Sachen wurden beschlagnahmt und Siegfried Cohn wegen der „Hortung“ belehrt und verwarnt.
Wenige Monate später, im Februar 1940, mussten die Eheleute Cohn ihr Haus hier in der Rizzastraße verlassen und – wie andere Juden auch – zwangsweise in das „Judenhaus“ in der Kastorpfaffenstraße 12 umziehen. Ihr Haus in der Rizzastraße wurde beschlagnahmt und von einem Obersturmführer bezogen, mit dem sie einen „Mietvertrag“ abschließen mussten.
Um seinen Unterhalt und den seiner Ehefrau bestreiten zu können, arbeitete Siegfried Cohn als Hilfsarbeiter. Dazu soll er gesagt haben: „Gott straft uns jetzt, weil wir nicht fromm genug gelebt haben.“
Am 21. März 1942 mussten sich Siegfried und Selma Cohn wie 336 andere Juden aus Koblenz und Umgebung in der Turnhalle der Steinschule für ihre Deportation einfinden. Am folgenden Tag, dem 22. März 1942, wurden sie von der Gestapo Koblenz zum Bahnhof Koblenz-Lützel getrieben. Da Selma Cohn krank war und nicht gehen konnte, fuhr man sie in einem Leiterwagen nach Lützel.
Dann ging es mit dem 1. Transport „nach dem Osten“. Das Ziel war das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin in dem von Deutschland besetzten Polen, dem Generalgouvernement. Dort verliert sich ihre Spur.
Karteikarte (Vorder- und Rückseite) der Gestapo Koblenz betr. Siegfried Cohn
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).
Einige Monate zuvor, am 22. Oktober 1941, wurden ihre Tochter Anneliese und deren Ehemann Robert Fröhlich von Köln aus in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz deportiert.
Deutscher Wachposten am Tor zum Ghetto Litzmannstadt
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto_Litzmannstadt).
Von dort wurden die Eheleute Fröhlich – wie viele andere Juden aus dem Ghetto Litzmannstadt auch – in der ersten Maihälfte 1942 in das nahegelegene Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) weiterdeportiert und mit Abgasen aus Kraftwagen qualvoll erstickt.