3. Station: Johannes-Müller-Str. 7 - Denkmal für Dr. Fritz Michel
Gehen wir nun den Markenbildchenweg weiter, biegen rechts in die Südallee ein und gehen dann rechts in die Johannes-Müller-Straße. Rechts ist das Krankenhaus Evangelisches Stift St. Martin, Johannes-Müller-Straße 7.
Das Krankenhaus Evangelisches Stift St. Martin in der Johannes-Müller-Straße.
Vor dem Krankenhaus steht das Denkmal für Dr. med. Dr. phil. h.c. Fritz Michel. Dr. Michel war Chefarzt des Stifts von 1927 bis 1947. Außerdem erforschte er die Heimat- und Kunstgeschichte und veröffentlichte zahlreiche Schriften und Bücher.
Das Denkmal für Dr. Fritz Michel, langjähriger Chefarzt des Krankenhauses Evangelischer Stift St. Martin.
So unbestreitbar die Verdienste Dr. Michels zur Heimat- und Kunstgeschichte auch sind, so problematisch ist seine außerordentliche Ehrung wegen seiner ärztlichen Tätigkeit in der NS-Zeit. Michel war nämlich ganz erheblich in die Verbrechen des Nationalsozialismus zur „Rassenhygiene“ verstrickt.
Die „Rassenhygieniker“ vor Hitler und erst recht die Nazis nannten diese Verbrechen „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Auslese“, „Ausmerze“, „Ausjätung“. Das begann mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933. Man schätzt heute, dass bis zu 400.000 Männer und Frauen - die allermeisten unter Zwang - sterilisiert wurden. Das war fast jeder 100. fortpflanzungsfähige Mensch in Deutschland.
NS-Propagandaplakat zur „Rassenhygiene“ und „Verhütung erbkranken Nachwuchses“, 1935.
Die Entscheidung trafen sog. Erbgesundheitsgerichte. Sie waren mit einem Richter als Vorsitzendem und zwei Ärzten als Beisitzer besetzt. Das in Koblenz ansässige Erbgesundheitsgericht ordnete allein in den beiden ersten Jahren 1934 und 1935 530 bzw. 920 Sterilisationen an. Viele Operationen geschahen im Evangelischen Stift St. Martin. Ausgeführt wurden sie vom Leitenden Chefarzt, Chirurgen und Gynäkologen Dr. Fritz Michel. Michel hat auf diese Weise eigenhändig mindestens 395 Männer, Frauen und Jugendliche verstümmelt. Dafür wurde er nie zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil ernannte man ihn schon 1952 zum Ehrenbürger von Koblenz und dann auch von Niederlahnstein, Anfang der 1970er Jahre benannte die Stadt Koblenz eine Straße nach ihm, die gleiche Ehrung wurde ihm in der Stadt Lahnstein zuteil. Seit 1989 ehrt das Denkmal vor dem Haupteingang des Evangelischen Stift diesen hundertfachen Menschenverstümmler. Seit Anfang der 2020er Jahre sehen sich die Städte Koblenz und Lahnstein genötigt, die vielfältigen Ehrungen für Dr. med. Dr. phil. h.c. Fritz Michel zu relativieren. Dazu gehören die Aberkennungen der Ehrenbürgerrechte und die Aufstellung einer wenig informativen Stele am Denkmal.
Leitender Chefarzt Dr. med. Dr. phil. h.c. Fritz Michel.
(Quelle: Stadtarchiv Koblenz)..
Eine dieser frühen Sterilisationen war die von Lucie Bermann. Sie und ihr Mann Max, der in Koblenz eine Vertretung für Drogen, Chemikalien und Verbandsstoffe betrieb, waren alteingesessene Juden. Sie führten eine glückliche Ehe, aus der ihr Sohn Sally hervorging. Später berichtete ihr Mann, dass die Nazis mit ihrem Judenboykott das sehr gut gehendende Geschäft schon sehr früh an den Rand des Ruins gebracht hatten, als die von ihm vertretenen Firmen die Verträge kündigten. Seine Frau wurde mit diesem Boykott psychisch nicht fertig und ihr Zustand verschlechterte sich zusehends, so dass sie ab Oktober 1933 in der Jacobyschen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn Genesung suchte. Dort geriet sie sehr bald in die Maschinerie der Rassenhygiene. Das Erbgesundheitsgericht Koblenz beschloss ihre Unfruchtbarmachung und am 27. November 1934 brachte man sie in das Evangelische Stift; dort wurde sie am folgenden Tag vom Chefarzt Dr. Michel operiert. Die Operation beunruhigte sie derart, dass es zu Nachblutungen kam und sie eine Woche später verstarb. Auf Nachfrage lehnte Dr. Michel jegliche Verantwortung für den Tod seiner Patientin ab.
Ein anderes Opfer war die aus einem Nachbarort von Cochem stammende Theresia Sch. Sie überlebte die Operation. Nach der Befreiung vom Faschismus beschrieb sie in einem – im Übrigen erfolglos gebliebenen – Antrag auf Wiedergutmachung, wie sie mit 37 Jahren im Jahr 1938 unter Zwang zum Eingriff in das Stift zu Dr. Michel kam. Zwei bis drei Wochen war sie dann dort. Sie hatte – wie sie angab – unter der Operation noch lange Zeit zu leiden, auch nach einem Jahrzehnt machte sich der Eingriff bemerkbar.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Sterilisationen auf eine zentrale Anweisung hin reduziert. Es hieß: „Anträge auf Unfruchtbarmachung sind nur zu stellen, wenn die Unfruchtbarmachung wegen besonders großer Fortpflanzungsgefahr nicht aufgeschoben werden darf.“ Sie gingen aber weiter, Bald begann dann die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ mit den Morden in den Tötungsanstalten, u.a. in Hadamar bei Limburg/Lahn.
Wer mehr über Dr. Fritz Michel und die Zwangssterilisationen in Koblenz erfahren will, dem empfehlen wir:
zu Dr. Michel die Zeitungsartikel im „Schängel“ vom 4. Juli 2018, HIER lesen
und vom 1. Juli 2020, HIER lesen
Zu Kurzbiografien von Dr. Michels zwangssterilisierter NS-Opfer:
Josef G. (zwangssterilisierter Mann aus Koblenz-Horchheim)
Jakob R. (zwangssterilisierter Mann und Opfer der NS-"Euthanasie" aus Koblenz-Horchheim)
Josef P. (zwangssterilisierter Mann aus Koblenz-Horchheim)