2. Station: Bahnhofstraße 27 - Bertha Schönewald

Wir verlassen jetzt den Hauptbahnhof und gehen auf der Bahnhofstraße in Richtung Innenstadt.

 

Wir halten am Haus Bahnhofstraße 27. Hier liegt ein einzelner Stolperstein für Bertha Schönewald.

Stolperstein für Bertha Schönewald.

Bertha Schönewald stammte aus einer jüdischen Familie wohl sephardischer Herkunft, die um 1500 Spanien verlassen hatte und sich über die Niederlande am Niederrhein niederließ. Im Jahr 1910 kam Bertha mit ihrem Ehemann Hermann, ebenfalls ein Jude, nach Koblenz. Hermann Schönewald war zuvor hier Soldat gewesen, und dann, weil es ihm an Rhein und Mosel so gut gefallen hatte, mit seiner jungen Frau und ihrem Sohn Jakob hierher gezogen. Auch im Ersten Weltkrieg war er Soldat und kämpfte für Deutschland, sein Vaterland. 


Hermann Schönewald (rechts) mit Kameraden bei einer Weihnachtsfeier während des Ersten Weltkrieges.

Nach dem Krieg gründete er, der früher Vertreter war, eine kleine Firma mit dem Verkauf von Textilien. Hermann Schönewald starb bereits mit 50 Jahren 1927. Er hinterließ seine Witwe Bertha und drei Kinder: den Sohn Jakob, die ältere Tochter Charlotte und das „Nesthäkchen“ Irene. 


Die drei Schönewald-Kinder (v.l.n.r.): Charlotte, Irene und Jakob, Ende der 1920er Jahre.

Sohn Jakob wollte hoch hinaus. Nach seinem Abitur am Koblenzer Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (heute: Eichendorff-Gymnasium) studierte er an der Universität Bonn Rechtswissenschaften. Dabei „versteckte“ er sich auch nicht. So war er in einer jüdischen Studentenverbindung (in einer „allgemeinen“ durfte er als Jude nicht sein) und außerdem war er sehr sportlich und nahm an Meisterschaften teil.


Jakob als Verbindungsstudent, um 1930.

Nach seinem ersten juristischen Staatsexamen setzte er seine Ausbildung zum Volljuristen fort und wurde Gerichtsreferendar. Diese hatte er noch nicht abgeschlossen, als Hitler und seine Leute am 30. Januar 1933 an die Macht kamen. Die Nazis waren von Anfang an ja sehr judenfeindlich, antisemitisch. Dementsprechend organisierten sie am 1. April 1933 nicht nur einen sog. Judenboykott, sondern erließen eine Woche später das sog. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Das war wie fast alles bei den Nazis ein sehr verlogener Titel. Es ging damit nicht um die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, sondern um den Hinauswurf jüdischer und politisch missliebiger Richter und Beamter. Das Gesetz enthielt als erstes Nazi-Gesetz einen sog. Arierparagrafen. Es war die „legale“ Handhabe, um umgehend jüdische Richter und Beamte aus ihren Ämtern zu entfernen. Mit einem weiteren Gesetz vom selben Tag verloren auch die jüdischen Rechtsanwälte ihre Zulassung als Anwälte. Zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erging dann die Allgemeine Verfügung des Reichsjustizministeriums vom 22. Mai 1933, dass die preußischen Gerichtsreferendare nichtarischer Abstammung aus dem Justizdienst zu entlassen seien. 

Damit war der von Jakob Schönewald eingeschlagene Berufsweg von einem auf den anderen Tag und ohne sein Zutun verbaut. Er sah keine berufliche Perspektive in Deutschland mehr, wanderte nach Holland aus und ein Jahr später nach Palästina, das damals noch Mandatsgebiet des Völkerbundes war – den Staat Israel gab es erst im Jahr 1948. Auch die Schwestern Charlotte und Irene konnten noch aus Deutschland flüchten. 

Hier in Koblenz blieb Mutter Bertha Schönewald allein zurück.

 


Bertha Schönewald, wohl ein Abschiedsfoto für ihre ins Ausland geflohenen Kinder (um 1938).

So war es damals häufiger. Eher schafften es noch die Jüngeren zu fliehen. Die Älteren blieben öfter zurück, weil sie die Gefahr nicht so sahen, auch weil sie nicht so mobil wie die Jüngeren waren und im Alter nicht noch in ein völlig fremdes Land fliehen wollten. Sie blieben. Ihr Schicksal wurde dann mit dem Befehl zum Holocaust und der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 entschieden. Es folgten die Deportationen „nach dem Osten“. 

So geschah das auch mit Bertha Schönewald. Sie wurde am 22. März 1942 vom Bahnhof Koblenz-Lützel aus deportiert. Das war der 1. Transport von Koblenz mit insgesamt 338 Menschen jüdischer Herkunft. Das Ziel war das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin in dem von Deutschland besetzten Polen, dem Generalgouvernement.

Das polnische Dorf Izbica bei Lublin im Generalgouvernement.(Quelle: HIER)

Das letzte Lebenszeichen kam von Bertha Schönewald mit einer Karte aus Izbica, datiert vom 12. April1942.   


Karte von Bertha Schönewald vom 12. April 1942 aus dem Durchgangsghetto Izbica.

Die Karte ist sicherlich freiwillig geschrieben. Bertha Schönewald wollte ihren Kindern ein Lebenszeichen senden. Der Inhalt war aber durch die Zensur strikt vorgeschrieben. Die Nazis unterstützten es, dass solche Karten geschrieben wurden. Damit sollte bei den Angehörigen, Freunden und Nachbarn der Eindruck erweckt werden, dass die Fahrt „nach dem Osten“ gut verlaufen und am Ankunftsort alles in Ordnung war. 

Wenn Sie mehr über Bertha Schönewald und ihre Familie erfahren wollen, empfehlen wir Ihnen:

HIER die von Irene Schönewald (verh. Futter) verfasste Familiengeschichte „Irene’s Story“. (in engl. Sprache)

und HIER die kurze Biografie von Irene Futter (geb. Schönewald).

und HIER die kurze Biografie von Jakob Schönewald.