4. Station: Friedrich-Ebert-Ring 43 - Pfarrer Paul Schneider

Wir gehen nun die Bahnhofstraße weiter Richtung Innenstadt, bis zur Kreuzung Friedrich-Ebert-Ring, wenden uns jetzt nach rechts und stehen gleich vor dem – inzwischen in die Jahre gekommenen – Neubau der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz am Friedrich-Ebert-Ring 43. 

 


Kreisverwaltung Mayen-Koblenz. Eingang Friedrich-Ebert-Ring 43.

Hier liegen zwei Stolpersteine: ein Biografie-Stolperstein für den evangelischen Pfarrer Paul Schneider und ein Erklärstein zur Örtlichkeit.


Erklärstein und Stolperstein für Pfarrer Paul Schneider.

Lassen Sie uns mit dem Erklärstein zur Örtlichkeit beginnen. Darauf heißt es, dass sich früher hier das Gebäude der Koblenzer Polizeiverwaltung befand, erst war das die Polizeidirektion Koblenz und ab 1930 das Polizeipräsidium Koblenz. In den 1970er Jahren wurde das Gebäude abgerissen und an dessen Stelle der Neubau der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz errichtet.

Der Erklärstein weist weiter darauf hin, dass es im damaligen Polizeigebäude auch einige Zellen für Polizeihäftlinge gab und in einer von ihnen der evangelische Pfarrer Paul Schneider inhaftiert war, bevor er im November 1937 von hier aus in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurde. 

Der zweite Stein ist der Stolperstein für Pfarrer Paul Schneider. Der evangelische Pfarrer Paul Schneider ist weithin für seinen Widerstand aus christlichem Glauben bekannt. Selbst im KZ Buchenwald ging er unbeirrt seinen Weg der Glaubenstreue und sprach den Kameraden dort Trost und Mut zu. Sie gaben ihm auch den Ehrentitel „Prediger von Buchenwald“. Weniger bekannt, dass Paul Schneider ein Dorfpfarrer des Hunsrück und hier in Koblenz wiederholt in Gestapohaft war. 

Geboren wurde Paul Schneider 1897 in einer kleinen Gemeinde im Soonwald, in Pferdsfeld. Diesen Ort gibt es heute nicht mehr. In den 1980er Jahren musste er einem Luftwaffenflugplatz dort weichen. Die Einwohner wurden nach Bad Sobernheim umgesiedelt. 

In Pferdsfeld war Paul Schneiders Vater evangelischer Pfarrer. Dort wuchs auch Paul Schneider auf. Seine Schulzeit beendete er mit dem Notabitur.- Notabitur deshalb, weil die Schulzeit verkürzt wurde, um als Soldat am Ersten Weltkrieg teilnehmen zu können. Paul Schneider war dann auch Soldat und das sehr gern und voller Stolz.

 


Paul Schneider als Soldat im Ersten Weltkrieg.

Nach dem Ersten Weltkrieg begann er sein Theologiestudium in Gießen. Dort schloss er sich auch der Studentenverbindung Wingolf an.


Student Paul Schneider (vorn ganz links mit langer Pfeife) als Wingolfit. 

Anschließend studierte er ein Semester in Tübingen. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Margarete kennen. Sie war das 10. Kind des dortigen Pfarrers Karl Dieterich, in dessen Pfarrhaus in Weilheim (heute ein Stadtteil von Tübingen) er ein Zimmer genommen hatte. 

Nach Studium, erstem theologischen Examen sowie nach verschiedenen Tätigkeiten (in einem Hüttenwerk im Ruhrgebiet – um Menschen und andere Berufssituationen kennenzulernen), beendete er seine Ausbildung als Pfarrer, heiratete seine Gretel und war dann selbst Pfarrer in Hochelheim in der Nähe von Wetzlar. Er trat dort die Stelle seines inzwischen verstorbenen Vaters an.  


Die Hochzeitgesellschaft der Eheleute Schneider am 12. August 1926 in Weilheim.

Am Ende der Weimarer Republik, also Anfang der 1930er Jahre, war Paul Schneider ein Suchender mit starkem christlich-sozialen Engagement. Dabei hegte er auch Sympathien für die immer stärker werdende Hitler-Bewegung – und das wegen ihrer scheinbaren volkstümlichen, sozialen Art.

Aber schon Mitte 1933 wurde er ein entschiedener Gegner der Nazis und predigte gegen ihre Irrlehre. Diese – so erkannte Paul Schneider früh - verfälschte den christlichen Glauben, verbannte die Juden aus der Glaubensgeschichte und „nordete“ das Christentum ein – „arisierte“ es. Das war für ihn Neuheidentum, das er engagiert bekämpfte. Dazu gehörte auch seine Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche (BK), einer Gemeinschaft von Pfarrern und Laien in der Evangelischen Kirche, die sich gegen die Verfälschung des christlichen Glaubens durch die Nazis wandte. 

Wegen seines öffentlichen Eintretens in seiner Gemeinde gegen diesen Irrglauben machte er sich bald bei den kleinen NS-Größen vor Ort Feinde. Auf deren Veranlassung hin wurde er von seiner Kirchenleitung strafversetzt in die kleinen Hunsrückgemeinden Dickenschied und Womrath. Auch dort widersetzte er sich den Lehren und der Praxis der Nazis. Nach der Beerdigung eines Hitler-Jungen kam er schon im Juni 1934 zum ersten Mal für eine Woche ins Gefängnis in Kirchberg. In seinen beiden Gemeinden fand er einen großen Rückhalt, aber es gab auch Gemeindemitglieder, die sich über ihn beschwerten und ihn denunzierten. 

Die Folge waren immer schlimmere Drangsalierungen und Inhaftierungen wegen seines Widerstehens aus christlichem Glauben. So wurde Paul Schneider im März 1935 für einige Tage im Gefängnis von Kirchberg festgesetzt. Da er weiter unbeugsam war, kam er nach seiner Predigt am Pfingstmontag 1937, dem 31. Mai, in Schutzhaft. Bei seiner Festnahme sah er seine Familie zum letzten Mal. Für seine Familie – sie hatten inzwischen sechs Kinder – war das ein schwerer Schlag.


Paul und Gretel Schneider mit ihren fünf Kindern, 1936;
das jüngste, sechste Kind Ernst wird erst kurz vor Paul Schneiders Verhaftung 1937 geboren. 

Man brachte Paul Schneider in das Gestapogebäude „Im Vogelsang“ hier in Koblenz. 


Das Gestapo-Gebäude in Koblenz „Im Vogelsang“.

Die Gestapo strengte gegen ihn einige „kleinere“ Ermittlungsverfahren an, aber so richtig hatte man nichts gegen ihn in der Hand. Um ihn trotzdem mundtot machen, erteilte man ihm ein Aufenthaltsverbot für das Rheinland und entließ ihn nach zwei Monaten aus der Gestapohaft. Aber auch da blieb Paul Schneider widerständig und weigerte sich, das Rheinland und damit auch seine Gemeinden zu verlassen. So blieb der Gestapo nichts anderes übrig, als ihn nach Wiesbaden – und damit außerhalb des Rheinlandes – zu fahren. 

Paul Schneider drehte sich in Wiesbaden aber auf dem Absatz um und fuhr in seine beiden Hunsrückgemeinden Dickenschied und Womrath. Die Gefahr für ihn erkennend, konnte ein Freund ihn überzeugen, dort nicht zu bleiben. Daraufhin begab sich Paul Schneider einige Wochen in „Urlaub“. Zum Erntedankfest Anfang Oktober 1937 kehrte er aber in seine beiden Gemeinden zurück. Kaum hatte er den Gottesdienst in Dickenschied gefeiert, wurde er erneut festgenommen. Wieder brachte man ihn in das Hausgefängnis der Gestapo in Koblenz „Im Vogelsang“. Schon nach wenigen Tagen kam er dann in das Polizeipräsidium in Koblenz und dort in das Hausgefängnis. 


Das Polizeipräsidium Koblenz am Kaiser-Wilhelm-Ring, um 1910 (Quelle: Stadtarchiv Koblenz). 

Hier im Gefängnis des Polizeipräsidiums konnte er noch einige und auch lange Briefe an seine Frau Gretel schreiben. Auch gelang es ihm, Zeichnungen für seine Kinder anzufertigen und aus dem Gefängnis hinauszuschmuggeln.

Zeichnungen von Paul Schneider Ende Oktober/Anfang November 1937 aus dem Polizeigefängnis in Koblenz für seine Kinder:
(v.l.n.r.: „Veranda-Aussicht“, „Vater auf seinem Verandasitz“, „Gestörte Mittagsruhe“)

Eigentlich wollten die Nazis Paul Schneider einen großen Prozess machen, aber offensichtlich hatten sie gegen ihn nicht genug dafür in der Hand. Deshalb verschleppten sie ihn ohne Prozess am 27. November 1937 in das Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar. Auch dort konnten sie Paul Schneiders Widerstand nicht brechen. Er blieb standhaft, vertrat seinen Glauben so gut es unter den Bedingungen eines Konzentrationslagers ging. Beim Appell auf dem Appellplatz an „Führers Geburtstag“ am 20. April 1938 weigerte er sich demonstrativ vor aller Augen, die Mütze abzunehmen und die Hakenkreuzfahne zu grüßen. Zur Begründung sagte er: „Dieses Verbrechersymbol grüße ich nicht.“

Dafür wurde er in das Gefängnis des Konzentrationslagers – auch so etwas gab es im KZ: ein Gefängnis im KZ, man nannte es Bunker – gebracht. Dort war er unter ganz schweren, erniedrigenden Bedingungen und täglich den Tod vor den Augen untergebracht. Aber auch das konnte sie ihn nicht brechen. Immer wieder erhob er aus der Luke seiner Zelle im Bunker seine Stimme und sprach zu den auf dem Appellplatz versammelten KZ-Häftlingen. Er zitierte dabei Bibelverse und sprach den Kameraden Mut zu. Auch nannte er die Verbrechen beim Namen und sagte: „Kameraden, hört mich. Hier spricht Pfarrer Paul Schneider. Hier wird gefoltert und gemordet. Um Himmels willen erbarmt euch! Betet zu Gott. Bleibt standhaft und treu, der allmächtige Vater wird das Übel von uns nehmen.“ Deswegen erhielt Paul Schneider später den Ehrentitel „Prediger von Buchenwald“.

Paul Schneider konnte den Bunker nie mehr verlassen. Er starb am 18. Juli 1939 an einer ihm verabreichten Überdosis von Strophantin, einem Herzstärkungsmittel. 

Auch heute ist Pfarrer Paul Schneider, der „Prediger von Buchenwald“ unvergessen. Zur Erinnerung an ihn ist sein Grab auf dem Friedhof in Dickenschied Mittelpunkt eines Gedenkortes. Zudem gibt es für ihn zahlreiche andere Gedenkorte und Erinnerungstafeln. Zwei evangelische Kirchengemeinden sind nach ihm benannt. Im Jahr 2019 wurden die beiden Stolpersteine vor der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz verlegt. Zur Freude zahlreicher Besucher geschah die Verlegung der Stolpersteine in Anwesenheit von Paul Schneiders Sohn Karl Adolf. 

 


Stolpersteinverlegung für Pfarrer Paul Schneider mit seinem Sohn Karl Adolf Schneider, Zweiter von links mit dem weißen Haar, 2019.

Wenn Sie mehr über Pfarrer Paul Schneider und seine Familie erfahren wollen: 

Über Pfarrer Paul Schneider gibt es eine Fülle biografischer und theologischer Schriften und andere Materialien. Im Jahr 2021 hat Joachim Hennig eine umfangreiche Dokumentation über ihn verfasst. Sie trägt den Titel: „‘Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.‘ – Pfarrer Paul Schneider (1897-1939) und seine Familie.“ Diese Biografie mit vielen Fotos und Briefen sowie anderen Dokumenten ist auf dieser Homepage nachzulesen. HIER die Biografie lesen.

Die Biografie ist auch als Buch erschienen im Rhein-Mosel-Verlag mit der ISBN: 978-3-89801-386-4.