10. Station: Schlossstraße 1 - Klinik Dr. Reich - Rita Alexander

Wir gehen jetzt am Forum Confluentes vorbei, auf der Viktoriastraße weiter und biegen in der zweiten Querstraße, der Schlossstraße, nach links ein. Im Angesicht des Koblenzer Kurfürstlichen Schlosses gehen wir die Schlossstraße weiter zu bis zu ihrem Ende am Schlossrondell. 

 

Hier auf der rechten Seite der Schlossstraße, am Haus Schlossstraße 1, sehen wir eine Anzahl Stolpersteine. Es sind 10 Biografiesteine und ein Erklärstein. 

Die insgesamt 11 Stolpersteine in der Schlossstraße 1.

Die Anordnung der Steine ist zweigeteilt. In der oberen Reihe sind es drei Steine: ein „Erklärstein“ und zwei Steine für zwei Erwachsene. In der unteren Reihe sehen wir insgesamt 8 Stolpersteine für Jugendliche. 

Der Stein in der oberen Reihe links erklärt die Vielzahl der hier verlegten Steine. Hier in dem Vorgängerhaus dieses heutigen „Neubaus“ befand sich die private Kinderklinik Dr. Reich. Der jüdische praktische Arzt Dr. Richard Reich betrieb hier eine Geburtsstation, in der viele jüdische Kinder zur Welt kamen. Für einige dieser Kinder sind in der unteren Reihe die 8 Stolpersteine verlegt.

 

Die obere Reihe der Stolpersteine in der Schlossstraße 1.

Links neben dem „Erklärstein“ liegt der Stein für den Betreiber dieser Klinik Dr. Richard Reich. Dr. Reich war verheiratet mit seiner Frau Frieda, geborene Lichtenstein. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Die Familie Reich konnte im Jahr 1939 noch rechtzeitig aus Koblenz nach Belgien fliehen. Dort lebten sie unter falschem Namen und überlebten auch die Zeit der deutschen Besetzung Belgiens. 

Rechts daneben in der oberen Reihe ist ein Stein für den Schwiegervater von Dr. Reich, für Karl Lichtenstein, verlegt. Auf dem für den 1869 geborenen Karl Lichtenstein verlegten Stein heißt es: 1942 deportiert, am 19. September 1942 in Maly Trostinez ermordet.

Ob das so richtig ist, ist sehr zweifelhaft. Nach den Gedenkbüchern ergibt sich etwas anderes. Danach wurde der damals 73-jährige Karl Lichtenstein am 27. Juli 1942 von Koblenz aus in das sog. Altersghetto Theresienstadt deportiert und von dort aus am 19. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt und noch am Tag seiner Ankunft mit Motorabgasen ermordet. Dieser Weg in den Holocaust erscheint mir auch plausibel, zahlreiche alte Menschen jüdischer Herkunft sind von Koblenz aus nach Theresienstadt gekommen und dann einige von ihnen weiter in das Vernichtungslager Treblinka.

Lassen wir das auf sich beruhen. Die Stolpersteine hier sind ohnehin vor allem für die in der Kinderklinik geborenen jüdischen Kinder verlegt worden. Es sind insgesamt 8 Stolpersteine in der unteren Reihe.

Die 8 Stolpersteine für die in der Klinik Dr. Reich zur Welt gekommenen jüdischen Kinder. 

Über das Schicksal mancher Kinder wissen wir kaum mehr als auf ihren Stolpersteinen zu lesen ist.

Anders ist es bei dem Stein für Rita Alexander.

Stolperstein für Rita Alexander. 

Rita kam hier in der Klinik Dr. Reich am 8. September 1932 zur Welt. Sie war die Tochter von Dr. Arnold Alexander und seiner Frau Johanna, geb. Weil, die aus Arloff stammte. Die Familie lebte in Vallendar. Dr. Arnold war promovierter Jurist und eigentlich Rechtsanwalt, betätigte sich aber als Kaufmann in der von seinem Vater 1860 gegründeten Tabakhandlung. Im Jahr 1936 bekam Rita noch ein Schwesterchen mit Namen Karla. 

Familie Arnold: Vater Dr. Alexander Arnold, Mutter Johanna, Rita (links) und Karla (rechts)
(Quelle: Stadtarchiv Koblenz).

Nach dem Novemberpogrom 1938 („Reichspogromnacht“ am 9./10. November 1938) sorgten Ritas Eltern dafür, dass sie mit einem Kindertransport des Roten Kreuzes nach Belgien kommen konnte. Die Eltern selbst und ihre jüngere Tochter Karla blieben in Vallendar wohnen. Am 22. März 1942 wurden die drei mit der 1. Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung vom Bahnhof Koblenz-Lützel aus „nach dem Osten“ verschleppt. Sie kamen in das Durchgangsghetto Izbica im von Hitler-Deutschland besetzten Polen, dem Generalgouvernement.   Sofern sie überhaupt die katastrophalen Verhältnisse in Izbica überlebten, wurden sie in ein Vernichtungslager verschleppt und mit Gas ermordet. Sehr wahrscheinlich war es das neu errichtete Vernichtungslager Sobibor. 

Auch Rita überlebte den Holocaust nicht. Ihr Zufluchtsland Belgien war nicht mehr sicher, nachdem die deutschen Truppen beim „Westfeldzug“ am 10. Mai 1940 auch Belgien überfallen und dann besetzt hatten. Bald danach wurde Rita festgenommen und im belgischen SS-Durchgangslager Caserne Dossin Malines in Mechelen interniert. 

 

Innenhof der Dossin-Kaserne zur Zeit des Sammellagers (Quelle: Wikipedia). 

Von dort ging sie am 26. September 1942 mit dem Convoi XI „auf Transport“ in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und wurde unmittelbar nach der Ankunft ermordet.

 

Torhaus des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, 1945 (Quelle: Wikipedia).