6. Station: Südallee 2 - Dr. Paul Kolf

Wir gehen jetzt den Friedrich-Ebert-Ring ein Stück weiter und kommen an die Einmündung der Südallee. Dort vor dem Eckhaus in der Südallee ist ein weiterer Stolperstein für den Medizinalrat Dr. med. Paul Kolf verlegt.



Stolperstein für Dr. Paul Kolf.

Es ist ein weiterer Stolperstein für ein nicht-jüdisches NS-Opfer. Dr. Kolf war Mediziner, nach seiner Ausbildung zunächst ab 1930 als Bakteriologe Oberassistent beim Medizinaluntersuchungsamt Düsseldorf und ab 1935 Direktor des Preußischen Medizinaluntersuchungsamtes Koblenz. Sein Verbrechen im Sinne der Nazis war eine Meinungsäußerung. Hierzu wurde nach dem Krieg in einem Prozess vor dem Landgericht Koblenz folgendes festgestellt:

„Dr. Paul Kolf, der früher Leiter des Medizinaluntersuchungsamtes Koblenz war Hausgenosse und Kunde des Angeklagten Struth, der in dem gemeinsam bewohnten Hause Koblenz, Kaiser-Friedrich-Straße 2 (heute: Südallee 2), ein Friseurgeschäft betrieb, das u.a. von höheren Parteifunktionären, deren Dienststellen in der Nähe lagen, aufgesucht wurde. Im gleichen Haus wohnte ein aus Österreich stammender höherer Parteifunktionär namens Neumann, der als Fanatiker galt und in der Gauleitung großen Einfluss ausübte. Am 6. August 1943 betrat Dr. Kolf den Laden des genannten Angeklagten, blieb in der Türe stehen, rief den Angeklagten herbei und zeigte ihm ein amtliches Schreiben, das ihm schlechte Verdunklung vorwarf. Es kam dann zu einem Gespräch zwischen ihm und Struth, der Amtsträger des Luftschutzbundes war. Im Verlaufe desselben erklärte Dr. Kolf dem Sinne nach, das sei alles Quatsch, in vier Wochen sei Friede, Hitler habe nichts mehr zu bestellen, Brauchitsch (……) sei wieder da, und die Wehrmacht werde alles über den Haufen werfen.

Kurze Zeit später betrat der Angeklagte Engel, ein langjähriger Kunde den Laden. Diesem erzählte Struth das soeben Gehörte, jedoch ohne Namensnennung. Auf Drängen sagte er dann, es handele sich um einen höheren Beamten, der im gleichen Hause wohne. Engel entgegnete, er zweifle an der Richtigkeit dieses Gerüchtes, da die Partei noch zu sehr im Sattel sitze. Auf seinem Wege zum Verwaltungsgebäude der Deutschen Beamtenkrankenversicherung (Debeka), bei der er damals Direktor war, stellte er den Namen des Dr. Kolf durch die Türschilder fest. Nach seiner Ankunft im Gebäude der Debeka erzählte er das Gehörte dem Zeugen und damaligen Abteilungsleiter der Debeka Gangolf, mit dem ihn ein besonderes Vertrauensverhältnis verband. Durch das Fernsprechverzeichnis und einen telefonischen Anruf stellte Engel fest, dass Dr. Kolf der Leiter des Medizinaluntersuchungsamtes war. Er und Gangolf waren von dem Gehörten stark beeindruckt. Am gleichen Tage befragte Engel den Mitangeklagten Buchartz um seine Ansicht über dieses Gerücht mit der Bitte zu ermitteln, ob es zutreffe. Er vertraute dem ebenfalls bei der Debeka tätigen Buchartz, trotzdem dieser Betriebsobmann und stellvertretender Obmann der DAF in der Ortsgruppe Roon war. Buchartz hatte seinerzeit zwischen Debeka und der Partei hin und her vermittelt und manche politische Schwierigkeit beseitigt. Er galt im Übrigen als sturer Parteigänger und war bei den Parteigegnern nicht gerne gesehen. Am Abend des gleichen Tages besuchte Buchartz eine Versammlung der politischen Leiter seiner Ortsgruppe, in der die Angelegenheit Dr. Kolf besprochen wurde. Er machte über das ihm bekannt Gewordene eine schriftliche Meldung. Nach einigen Tagen wurden die Angeklagten Engel und Struth von der Gestapo über die Angelegenheit Dr. Kolf vernommen. Vernehmender war der inzwischen verstorbene Kriminalbeamte Göbel, Protokollführerin die Zeugin Gödde. Vor diesen Zeugen war noch ein anderer vernommen worden, der in Parteiuniform erschienen war, und heute nicht mehr festgestellt werden kann. Der Angeklagte Struth erklärte vor der Gestapo auf Befragen, er sei über die Äußerung des Dr. Kolf entrüstet gewesen. Während des Verfahrens vor der Gestapo trat Dr. Kolf an den Angeklagten Struth heran und legte ihm nahe, auszusagen, dass seine Bemerkung sich auf die Zustände in Italien bezogen hätte. Struth entgegnete, das sei ihm zu gefährlich. Dr. Kolf war vor der Gestapo geständig. 

(So das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 6. September 1949 – 9 Kls 28 -, archiviert im Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 584,1 Nr. 1055). 

Das war alles. Der Hintergrund dieses Gesprächs war, dass in Italien kurz zuvor der faschistische Diktator Mussolini, der „Duce“, abgesetzt worden war. Kolf meinte, es könnte in Deutschland genauso kommen. Das war eine bloße und eigentlich harmlose Meinungsäußerung. Wenn Sie bedenken, was heute alles an Kommentaren pp. in den „sozialen Medien“ so vorkommt, dann war das doch ganz harmlos.

Aber nicht für die Nazis, und schon gar nicht am Ende des 4. Jahres des Angriffskrieges Nazi-Deutschlands. Für die war das Wehrkraftzersetzung. In der „Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz“ (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17. August 1938(!) gab es den § 5, der lautete:

(1) Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft:

1. wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern, oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zu wehrhafter Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht… 

(2) In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden.     

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Dr. Paul Kolf (Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

Tatsächlich wurde Paul Kolf wegen dieser Meinungsäußerung wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt. Sein Verfahren fand vor dem Volksgerichtshof statt. Unter dem Vorsitz des berüchtigten Präsidenten Roland Freisler, den man nach dem Krieg den „Mörder in roter Robe“ nannte, wurde Paul Kolf zum Tode verurteilt. Die vollständigen Gründe des Urteils sind genau eine Seite lang. Ich zeige Ihnen hier das vollständige Urteil des Volksgerichtshofs. 

Urteil des Volksgerichtshofs vom 18. Oktober 1943 gegen Dr. Paul Kolf wegen Wehrkraftzersetzung.

In den sehr kurzen Gründen heißt es u.a.:

Man bedenke, Kolf will ein gebildeter Mann sein; er ist Medizinalrat. Er hat als Beamter und als Parteigenosse dem Führer den Treueid geleistet. Als gebildeter Mann hat er in besonderem Maße die Pflicht, Beispiel und Vorbild zu sein.; die Festigkeit unserer Haltung zu stützen. Er aber hat sie erschüttert, und war höchst gefährlich in einem Augenblick, in dem es besonders darauf ankam, Haltung zu wahren., nämlich nach dem Badoglio-Verrat am Duce. 

Wenn es auch nur eine kurze Unterredung war – ein solches Versagen eines Mannes, der gebildet sein will und deshalb ein besonderes Maß von Verantwortung hat, ist Verrat an unserem kämpfenden Volk. Es schwächt unsere Siegesfestigkeit, gefährdet also den Sieg. Es machte ihn zum für alle Zeit ehrlosen Hetzer im Dienste der Zersetzung für unsere Kriegsfeinde. (§ 5 der Kriegssonderstrafrechts-Verordnung). 

Darauf kann es nur eine Antwort geben, wenn wir unseren Sieg nicht gefährden wollen: die Todesstrafe. 

Ein Rechtsmittel dagegen gab es natürlich nicht. Das Urteil war mit der Verkündung rechtskräftig. Man konnte nur noch ein Gnadengesuch stellen. Das tat Dr. Kolf auch. Das hatte insoweit Erfolg, als der Reichsjustizminister im Gnadenwege das Todesurteil in eine Zuchthausstrafe von 8 Jahren umwandelte. Paul Kolf verbüßte dann auch ein Teil der Freiheitsstrafe erst im Zuchthaus Brandenburg-Görden, dann im Gefängnis in Ulm (auf dem Stolperstein ist fälschlicherweise Regenburg angegeben). Er kehrte noch für einige Wochen nach Koblenz zurück, zeigte den Direktor Engel und den Friseurmeister Struth wegen dieses Sachverhalts an, zog dann zu seiner Nichte nach Trier. Dort starb Paul Kolf im Oktober 1945, nach den Angaben seines Bruders an Blutvergiftung (Sepsis), deren Ursache eine nicht heilende Wunde war, die er bei seinen Misshandlungen im Zuchthaus erlitten hatte. 

Das Strafverfahren gegen den Friseurmeister Struth, den Direktor der Debeka Engel und den Mitarbeiter der Debeka Buchartz endete übrigens mit einem Freispruch aller drei. Das Landgericht konnte nach einer Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die drei mit ihren Erzählungen und Meldungen ursächlich für das Strafverfahren gegen Dr. Kolf waren, vielmehr hielt das Gericht es für möglich, gar wahrscheinlich, dass ein großer Unbekannter der anzeigende Denunziant gewesen war. Das war der in Parteiuniform bei der Gestapo Erschienene, der vor den vorgeladenen Struth und Engel von der Gestapo vernommen worden war (und den die beiden noch gesehen hatten und eigentlich hätten kennen müssen! – aber danach fragte das Gericht nicht weiter.). Auch bezweifelte das Gericht den Vorsatz der drei Angeklagten, Dr. Kolf der Gestapo und der Justiz ausgeliefert zu haben. 

Aus heutiger Sicht wird man sagen können, dass der Friseurmeister Struth ohne Not und sehr geschwätzig die Äußerungen in seinem Friseurladen weitererzählt hat, der Direktor Engel ohne wirkliche Not weitergetratscht hat und der Betriebsobmann Bucharzt die Sache zur Gestapo getragen hat. Allen musste klar sein, dass sie dabei für Dr. Kolf „mit dem Feuer spielten“, - dass, wenn diese Geschichte der Gestapo zu Ohren kam, dies für Dr. Kolf tödlich sein konnte. Sie haben es gleichwohl – aus welchen Gründen auch immer – getan. – Machen Sie sich selbst ein Bild und eine Meinung.