10. Station: Mainzer Straße 10 - Familie Sonnenberg

Wir bleiben hier jetzt stehen und wenden uns der nächsten Gruppe von Stolpersteinen zu. Sie sind für die Familie Sonnenberg verlegt, ebenfalls eine jüdische Familie.

 

Die sechs Stolpersteine für die Familie Sonnenberg.

Die sechs Stolpersteine erzählen eine etwas komplizierte Familiengeschichte. Im Mittelpunkt dieser Geschichte stehen der Großvater Karl Blum, dessen Schwiegersohn Moses und dessen Sohn Paul Sonnenberg.

Moses Sonnenberg stammte aus dem Ort Selters in der Nähe von Limburg an der Lahn. Er war von Beruf Pferdehändler. Nach dem I. Weltkrieg heiratete er seine aus Niederbachheim bei Nastätten im Taunus stammende (1.) Frau Irma, geb. Blum. Bald zogen die Eheleute nach Koblenz. Hier wohnten sie zusammen mit Moses’ Schwiegervater Karl Blum in einem kleinen Haus in der Mainzer Straße. Auf dem Grundstück betrieb Moses Sonnenberg seinen Pferdehandel, dort befanden sich auch die Stallungen und eine Pferdebahn. Die Eheleute hatten zwei Söhne, den 1921 geborenen Gerhard Siegfried und den 1925 geborenen Paul. 

Die Sonnenbergs lebten in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, hatten ein Kindermädchen, fuhren ein nagelneues Auto - und wählten die Deutsche Staatspartei, eine liberale bürgerliche Partei. Die Söhne gingen in Koblenz zur Schule und hatten zahlreiche Freunde, vor allem jüdische. 

Seit dem „Judenboykott“ am 1. April 1933 wurde der Pferdehandel gemieden. Der Geschäftsbetrieb ging weiter zurück, nachdem schon in den letzten Jahren durch die Motorisierung der Handel mit Pferden nachgelassen hatte und die Käufer im Zuge der Weltwirtschaftskrise ihre Schulden nicht bzw. nur zögerlich beglichen. Im Jahr 1934 starb die Ehefrau und Mutter Irma ganz unerwartet. Für sie liegt hier ein Stolperstein. 

Spätestens seit den Nürnberger Rassengesetzen vom 15.September 1935, mit denen die Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden, wurde das Klima für die beiden Söhne in der Schule noch rauer. Nach einem Tumult von Schülern gegen Gerhard Siegfried und seiner Gegenwehr musste er mit Ende der 9. Klasse (Obertertia) 1936 das Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (heute: Eichendorff-Gymnasium) verlassen. Mit 14 Jahren ging er in die Lehre als Maschinenschlosser nach Düsseldorf.  

Damit begann sich die Familie Sonnenberg aufzulösen. Im März 1937 beging Großvater Blum Selbstmord. Für ihn liegt hier ebenfalls ein Stolperstein.

Ein Jahr später verließ Moses Sonnenberg Koblenz. Er floh vor einem ihm von den Nazis angehängten Strafverfahren in die Niederlande. Die Zeitung der Nazis, das Koblenzer Nationalblatt, titelte dazu: „Na klar, Jud Sonnenberg getürmt. Der Feigling hatte allerhand auf dem Kerbholz und gebrauchte seine Angestellte zu Betrügereien.“

Die damit gemeinte Angestellte war Moses Sonnenscheins Lebensgefährtin Betty Michel. Sie floh nicht, wurde Mitte März in Untersuchungshaft genommen und später wegen Urkundenfälschung unter Zubilligung mildernder Umstände zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Angeblich hatte sie auf einem Wechsel die Unterschrift gefälscht. Der 12-jährige Paul wurde von Wilhelm Kahn, einem Freund der Familie Sonnenberg, in dessen Familie aufgenommen. Kahn und Rechtsanwalt Dr. Isidor Treidel waren Pauls Vormünder.

Nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 musste Paul Sonnenberg – wie alle jüdischen Schüler – das Gymnasium verlassen. Er schrieb das Gedicht: „Wohin mit uns?“ Seine Antwort ist Ratlosigkeit: „Es ist zum Verzweifeln, denn kein Land will uns Juden aufnehmen.“

Immerhin gelang den beiden Söhnen Paul und Gerhard Siegfried die Flucht in die Niederlande, wo ihr Vater schon war. Auch die Lebensgefährtin des Vaters Betty ging nach Holland. 

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Vater Moses Sonnenberg, Vorder- und Rückseite.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Sohn Paul Sonnenberg.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

 

 

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. die Lebensgefährtin/Ehefrau Betty Michel-Sonnenberg, Vorder- und Rückseite.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

Noch vor dem Überfall Hitler-Deutschlands auch auf die Niederlande am 10. Mai 1940 gelang Gerhard Siegfried die (illegale) Auswanderung nach Palästina. 

Moses, sein jüngerer Sohn Paul und seine Lebensgefährtin Betty blieben in den Niederlanden und erlitten die deutsche Besatzung und die Verfolgung dort. Erst wurden sie ausgebürgert, verloren also ihre deutsche Staatsangehörigkeit und wurden staatenlos. Dann nahm man sie fest und verschleppte sie in das von den Deutschen verwaltete holländische „Durchgangslager“ Westerbork. Dort trafen sich die drei im Jahr 1942 wieder. Moses Sonnenberg heiratete dort seine Lebensgefährtin Betty. 

  Ein Zugang zum Konzentrationslager Theresienstadt nahe Prag.
Über dem Torbogen prangt der zynische Schriftzug "Arbeit macht frei".

Am 4. September 1944 wurden alle drei von Westerbork in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort blieb nur Betty. Moses und Paul kamen am 16. Oktober 1944 von Theresienstadt aus auf Transport in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

 
Karte des KZ Theresienstadt betr. die Deportation Moses Sonnenberg

vom KZ Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. 

Vater Moses wurde dort bei seiner Ankunft mit Giftgas ermordet. Für ihn ist ein weiterer Stolperstein verlegt. 

  Toreinfahrt des Vernichtungslagers Auchwitz-Birkenau (Quelle: Wikipedia).

Sohn Paul überlebte noch die Selektion, kam dann aber am 22. Januar 1945 dort um – fünf Tage bevor Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde. Auch für Paul Sonnenberg liegt hier ein Stolperstein.


 Paul Sonnenberg.

Betty Sonnenberg überlebte den Holocaust im KZ Theresienstadt, Gerhard Siegfried in Palästina. Betty starb 1985, Gerhard Siegfried – er war in den 1950er Jahren nach Deutschland zurückgekehrt – im Jahr 2003. Für sie sind die beiden letzten Stolpersteine verlegt.

Wer mehr über Paul Sonnenberg und seine Familie erfahren will, dem empfehlen wir:

HIER die Kurzbiografie von Paul Sonnenberg auf dieser Homepage.