9. Station: Mainzer Straße 10 - Eheleute Isidor und Erna Treidel
Wir gehen jetzt die Bismarckstraße zurück, biegen rechts in die Moltkestraße ein und bald rechts in die Mainzer Straße. Dann überqueren wir die Mainzer Straße und gehen rechts ein Stück weiter. Dort bleiben wir vor dem Haus Mainzer Straße 10 stehen.
Hier sehen wir zahlreiche Stolpersteine, es sind insgesamt 8. Wenn wir genau hinsehen, erkennen wir zwei Gruppen. Das sind einmal die beiden Steine für die Eheleute Treidel und dann die sechs Stolpersteine für die Familie Sonnenberg.
Die beiden Stolpersteine rechts für die Eheleute Treidel und links die Stolpersteine für die Familie Sonnenberg.
Beginnen wir mit den Eheleuten Dr. Isidor und Erna Treidel, geb. Hecht. Die Treidels, beide Juden, stammten aus Mayen bzw. Limburg an der Lahn.
Die beiden Steine für Dr. Isidor und Erna Treidel.
Isidor Treidel war Jurist, das erste Staatsexamen legte er mit der damaligen Ausnahmenote „gut“ ab. Nach Promotion, Referendarzeit und Zweitem Staatsexamen ließ er sich als Rechtsanwalt in Mayen nieder. Im Ersten. Weltkrieg wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse (EK II) ausgezeichnet.
Hochzeitsfoto der Eheleute Isidor und Erna Treidel, Isidor in Soldatenuniform.
Aus der Ehe der Treidels gingen drei Kinder hervor, der Sohn Fritz (*1918) und die Töchter Lore (*1915) und Helga (*1923). Bald verlegte Dr. Treidel seine Kanzlei nach Koblenz. Auch war er gesellschaftlich engagiert, war u.a. im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten aktiv. Die Wohnung der Treidels war ein Treffpunkt von Gästen, die Theater und Dichtung liebten.
Familie Treidel mit Mutter und Vatzer, v.l.n.r.: Helga, Fritz und Lore (vor Lores Auswanderung).
Dieses harmonische Bild der Familie Treidel bekam unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 einen großen Sprung. Die Nazis mit ihrem Rassenwahn begannen sofort Schikanierungen und Diskriminierungen. Das bekam schon wenige Wochen später Rechtsanwalt Treidel mit dem Judenboykott zu spüren. Zum 1. April 1933 riefen die Nazis unter der Parole „Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ im ganzen Deutschen Reich zum Boykott jüdischer Geschäfte, Waren, Rechtsanwälte und Ärzte auf – auch in Koblenz.
Titelblatt des Koblenzer Nationalblatts vom 1. April 1933 zur Propaganda für den „Judenboykott“.
Nur eine Woche später erließ die Reichsregierung, die nach dem inzwischen beschlossenen „Ermächtigungsgesetz“ selbst Gesetze erlassen konnte, das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Mit diesem wurden Juden und den Nazis missliebige Beamte und Richter aus dem Staatsdienst entfernt. Mit einer weiteren Vorschrift, dem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verschafften sie sich die „legale“ Grundlage, die Zulassung jüdischer und missliebiger Rechtsanwälte zurückzunehmen. Von dieser formell-rechtlichen Regelung war Dr. Isidor Treidel allerdings (noch) nicht betroffen, weil für ihn – der schon vor dem 1. August 1914 als Rechtsanwalt zugelassen war – als „Altanwalt“ eine Ausnahme galt.
Gleichwohl ging seine Diffamierung und Schikanierung weiter. So wurde seine Rechtsanwaltskanzlei nach den Nürnberger Rassengesetzen vom 15. September 1935 auf der „Judenliste von Koblenz“ gebrandmarkt.
Die Judenliste von Koblenz – Eintrag unter Mainzer Straße 10a: Dr. Treidel, Rechtsanwalt.
Auch wurde Dr. Treidel verboten, staatliche und kommunale Stellen zu vertreten. Beim Novemberpogrom in Koblenz (9./10. November 1938, „Reichspogromnacht“) überfielen SA-Leute u.a. die Wohnung der Treidels, verwüsteten sie und misshandelten Dr. Treidel.
Aufgrund der 5. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wurde Dr. Treidel zum Ende des Jahres 1938 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgenommen. Er war nur noch „Rechtskonsulent“ und zugelassen lediglich zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden – und dies zu niedrigeren Gebühren.
Stempel von Dr. Treidel. Er darf nicht mehr Rechtsanwalt sein, sondern nur noch "Rechtskonsulent".
Nachdem Sohn Fritz noch als letzter Schüler am Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium (heute Eichendorffgymnasium) Abitur gemacht hatte und Tochter Helga unmittelbar nach dem Novemberpogrom – wie die anderen jüdischen Schülerinnen auch – die Hilda-Schule verlassen musste, konnten die Treidels ihre Kinder noch in Sicherheit bringen. Sohn Fritz floh in die Schweiz, die ältere Tochter Lore zunächst nach Frankreich, später in die USA und die jüngere Tochter Helga nach England.
Zusammen mit dem weiteren in Koblenz verbliebenen „Rechtskonsulenten“ Dr. Arthur Salomon bemühte sich Dr. Treidel, die rechtlichen Interessen der Juden wahrzunehmen und dadurch ihr Schicksal wenigstens etwas zu lindern. Als auch Dr. Salomon mit seiner Familie mit der 1. Deportation von Juden aus Koblenz am 22. März 1942 „nach dem Osten“ verschleppt wurde, war Isidor Treidel der letzte Rechtsvertreter der Juden in Koblenz.
Die Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel.
Wenig später, mit der 4. Deportation von Koblenz aus am 27. Juli 1942 wurde die Mutter von Erna Treidel, die 77 Jahre alte Lina Hecht, in das „Altersghetto“/Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. „Auf der jüdischen Seite“ war ihr Schwiegersohn, Dr. Treidel, für den Transport der 79 alten Leute zuständig.
Als dann alle Juden aus Koblenz und Umgebung – bis auf die in sog. Mischehe mit einem „arischen“ Ehepartner lebenden – deportiert und deren Rechtsverhältnisse im Sinne Hitler-Deutschlands geregelt waren, erlitten die Treidels dasselbe Schicksal. Mit der 6. Deportation am 16. Juni 1943 verschleppte die Gestapo auch sie in das Konzentrationslager Theresienstadt.
Von dort wurden die beiden am 15. Oktober 1944 unter der Bezeichnung „Arbeiter“ bzw. „Haushalt“ in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort noch am selben Tag mit Giftgas ermordet.
Karten des KZ Theresienstadt betr. die Deportation von Dr. Isidor und Erna Treidel
vom KZ Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Wer mehr über die Familie Treidel erfahren will, dem empfehlen wir:
HIER die Kurzbiografie der Eheleute Dr. Isidor und Erna Treidel auf dieser Homepage.
und HIER die Kurzbiografie von Helga Treidel/Helen Carey.