2. Station: An der Liebfrauenkirche 11 - Familie Otto Daniel

Verlassen wir nun den Florinsmarkt und gehen in die Gemüsegasse hinein. Diese kleine Gasse gehen wir bis zum Ende und biegen in die Straße „An der Liebfrauenkirche“ rechts ein. 

Nach wenigen Schritten kommen wir zum Haus An der Liebfrauenkirche 11. Hier sind drei Steine verlegt für die jüdische Familie Daniel: für den Vater Otto Daniel, die Mutter Flora, geb. Strauß, und für deren Tochter Juliane.

3 Stolpersteine für die Familie Daniel, für den Vater Otto, die Tochter Juliane und die Mutter Flora, geb. Strauß.

Von der Familie Otto Daniel wissen wir, dass die Daniels seit Jahrzehnten in Koblenz ansässig waren. Schon Ottos Vater Simon, auf den wir nachher noch kommen werden, lebte in Koblenz. Hier wurde auch Otto Daniel 1894 geboren. Wie sein Vater war Otto Metzger, zuletzt Metzgermeister. Er heiratete die aus Nieder-Ingelheim stammende Flora Strauß, sie war die Tochter eines dortigen Metzgermeisters Heinrich Strauß. Aus der Ehe ging die 1930 geborene Tochter Juliane hervor. 

Juliane Daniel, um 1940 (Quelle: Stadtarchiv Koblenz). 

Der Vater Otto Daniels, Simon Daniel, betrieb hier in dem eigenen Haus eine Metzgerei. Darin wohnte auch dessen Sohn Otto mit seiner Familie. Wann sie hierherzogen, ist nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass Otto seinem Vater Simon in der Metzgerei half. Viel wissen wir über die Familie Daniel aus dieser Zeit nicht. Die noch existierenden Fotos lassen aber annehmen, dass sie eine glückliche und friedliche Zeit in Koblenz hatte.

 

Familie Simon Daniel bei einem Ausflug.

Familie Daniel bei einer Soldatenehrung der Metzgerinnung. 

Dieses friedliche Bild änderte sich unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933. Damit brach eine schwere Zeit für jeden der Daniels an. Die Metzgerei wurde von Anfang an boykottiert, das begann mit dem „offiziellen“ „Judenboykott“ am 1. April 1933. Dabei waren die Koblenzer wie alle Menschen im Deutschen Reich – wie es propagandistisch hieß „zur Abwehr“ - aufgerufen, nicht bei Juden zu kaufen. Die Parole der Nazis lautete: „Deutsche wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“.

Das Koblenzer Nationalblatt rief in seiner Ausgabe vom 1. April 1933 zum „Abwehrkampf“ gegen „die“ Juden und zum Boykott auf. 

Das war eine Kampfansage der SA und der Nazis an die Juden insgesamt, die sie einschüchtern und erschrecken sollte, und vielfach auch so wirkte. Es war ein erstes und sehr frühes Zeichen ihres Rassenwahns. 

 

Das Koblenzer Nationalblatt vom 3. April 1933 mit den Erfolgsmeldungen im ganzen Deutschen Reich. 

Dieser Boykott wurde im Zuge der Nürnberger Rassengesetze vom 15. September 1935, mit denen die Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden, noch intensiviert. Dazu erstellten die Nazis von Koblenz eine „Judenliste von Koblenz“ und veröffentlichten sie in der Zeitung. Darin war auch die Metzgerei der Daniels als jüdisches Geschäft gebrandmarkt.

 
Die „Judenliste von Koblenz, von September 1935, mit dem Eintrag: A.(n) d.(er) Liebfrauenkirche 32 (?): Daniel, S., Metzgerei. 

In der Folgezeit wurde der Betrieb der Daniels wiederholt von der Gewerbepolizei schikaniert und wegen angeblicher Missstände verwarnt und bestraft. Im Juni 1938 schloss die Polizei die Metzgerei komplett. Dazu hieß es in einem Artikel der NS-Zeitung „Koblenzer Nationalblatt“ vom 16. Juni 1938 unter der Überschrift: "Ein Schmierjude unschädlich gemacht. Die Metzgerei Simon Daniel wurde polizeilich geschlossen" folgendes: 

Bei einer durch die Deutsche Arbeitsfront vorgenommenen Betriebskontrolle wurden bei dem jüdischen Metzger Simon Daniel, Koblenz (Wurstfabrik), An der Liebfrauenkirche 11, derartig katastrophale Zustände vorgefunden, dass die Gewerbepolizei den gesamten Betrieb schließen und versiegeln musste. So waren z.B. die für die Herstellung von Wurstwaren benötigten Wurstkessel mit einer dicken Schmutzkruste umgeben und außerdem stark verrostet. Der Laden war alles andere als sauber, während im Eisschrank verschimmelte und ekelerregende Wurst aufgefunden wurde.

Das waren Fake News, um diesem offenbar sehr guten und beliebten Metzger Daniel endgültig den Garaus zu machen. Denn bezeichnenderweise hieß es in dem kleinen Zeitungsartikel am Ende auch: An Hand der vorgefundenen Bücher konnte übrigens festgestellt werden, dass es heute immer noch Volksgenossen gibt, die sich nicht schämen, bei Juden zu kaufen. – Man fragt sich, warum bei diesen angeblich katastrophalen Zuständen auch nach Jahr und Tag noch „Arier“ bei dem Juden Daniel kauften, und das, obwohl sie deswegen von den Nazis in der Öffentlichkeit immer wieder bloßgestellt wurden.

Bezeichnend ist auch die Schilderung von Kurt Hermann, der in seinen Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend in Koblenz 1918-1935 folgendes über die Metzgerei Daniel schrieb:

"In Koblenz gab es zwei Metzgereien Daniel. Die eine hatte ihr Geschäft auf der Verlängerung der Löhrstraße, zwischen den Vier Türmen und dem Marktplatz (gemeint ist: Münzplatz), die andere, die der Eltern Lutz Daniels, am Platz vor der Liebfrauenkirche, nicht weit von der Ecke der Gemüsegasse. Dort kaufte auch meine Mutter ihren Bedarf an Fleisch und Würstchen ein. Apropos Würstchen! Die von Daniels waren nicht nur die allerbesten in Koblenz, sondern auf allen meinen Reisen durch die Welt habe ich nirgendwo nochmals so gute schmackhafte Würstchen gegessen". 

Wenige Monate später, bei dem Novemberpogrom 1938, wurde die Wohnung der Daniels von SA-Leuten verwüstet. Dabei ließ sich der Mob auch nicht von der krank im Bett liegenden achtjährigen Tochter Juliane und deren fürchterlichem Geschrei abhalten. Für Juliane gab es anschließend keine Schule mehr. Nach dem Pogrom war jüdischen Schülerinnen und Schülern nämlich der Besuch öffentlicher Schulen verboten. Im Zuge des Pogroms wurde Otto Daniel – wie viele andere jüdische Männer auch – von der Gestapo festgenommen und in das Konzentrationslager Dachau bei München verschleppt. Nach einigen Wochen ließ man ihn wieder frei.

  Zugangsbuch des Konzentrationslagers Dachau mit dem Eintrag Nr. „27020 Otto Daniel“.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen)

Am 22. März 1942 gingen Otto, Flora und Juliane Daniel mit der 1. Deportation von Juden aus Koblenz und Umgebung „auf Transport“ in das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin im von Hitler-Deutschland besetzten Polen, dem sog. Generalgouvernement. Dort kamen sie – wie man so sagt – um.