4. Station: Löhrstraße 28 - Familie Ramler

Wir gehen jetzt die Marktstraße weiter, vorbei an den Vier Türmen, weiter in die Löhrstraße, auch noch über die Ampel und bleiben dann kurz danach auf der rechten Seite stehen. Wir stehen jetzt am Haus Löhrstraße 28.

 

4 Stolpersteine für die Familie Ramler, für Vater Markus, Mutter Paula (Tauba), geb. Kruk (geb. Kruck)
und ihre Söhne Manfred und Helmut.

Hier liegen vier Stolpersteine für die jüdische Familie Ramler: für Vater Markus, Mutter Paula (Tauba) und die Söhne Manfred und Helmut. Die Familie Ramler hatte einen weiten Weg zurückgelegt, bis sie Ende der 1920er Jahre nach Koblenz kam. Nur 10 Jahre lebte sie hier. Dann musste sie wiederum – diesmal zwangsweise – einen weiten Weg gehen. An dessen Ende fand die ganze Familie den Tod.

Vater Markus Ramler war 1899 in der Stadt Kolomea (Kolomyia) in Galizien geboren. Galizien ist eine historische Landschaft, bis Ende des Ersten Weltkrieges war sie Teil der Habsburgermonarchie. Damals gab es ein Westgalizien und ein Ostgalizien. Kolomea lag in Ostgalizien. Heute gehört die historische Landschaft Galizien im Westen zu Südostpolen und im Osten zur Westukraine. Die historische Hauptstadt Galiziens ist Lwiw, die Deutschen nannten sie Lemberg. 

Damals war Kolomea eine Mittelstadt und ein großes jüdisches Zentrum. Die Hälfte der Einwohner waren Juden. Es war ein typisches Schtetl, also eine Stadt mit vielen Juden, die traditionell und orthodox lebten.

Vater Markus Ramler war Handelsvertreter. Als solcher kam er viel herum. So lernte er auch seine Frau Tauba, geb. Kruck, kennen. die aus der westgalizischen Stadt Tarnow stammte. Im Jahr 1926 lebten die Ramlers noch in Kolomea, dort wurde ihr erster Sohn Moses, genannt Manfred, geboren. 1929 kamen die Ramlers – aus welchen Gründen auch immer – nach Koblenz. Sie waren hier sog. Ostjuden. 

Diese Bezeichnung und die damit verbundene (abwertende) Wertung kam um 1900 auf und war der Gegenbegriff zu Westjuden. Dieses gegensätzliche Begriffspaar entstand, nachdem es Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts viele Pogrome im Zarenreich und auch in Galizien gab, die eine starke Westwanderung/Flucht der dortigen Juden verursacht hatten. Dabei prallten in soziokultureller, religiöser und sprachlicher Hinsicht „zwei Welten“ aufeinander. Die hier lebenden Westjuden waren im Wesentlichen assimiliert, gehörten vielfach zur städtischen Mittelschicht und sprachen die deutsche Umgangssprache. Die zuwandernden Ostjuden hingegen kamen aus den osteuropäischen Ghettos, den Schtetln, waren religiös orthodox und sprachen Jiddisch. Das führte vielfach sogar zu Spannungen zwischen den einheimischen und den zugewanderten Juden – ganz zu schweigen davon, dass diese „Ostjuden“ und ihre Art ein willkommener Anlass für antisemitische Diffamierungen der Juden insgesamt waren.

 Manfred Ramler (*1926), (Quelle: Stadtarchiv Koblenz).

Helmut Ramler (*1931), (Quelle: Stadtarchiv Koblenz). 

Die Ramlers lebten sich in Koblenz trotz allem bald ein. Im Jahr 1931 kam hier Sohn Helmut zur Welt. Um 1936 übernahm Tauba Ramler von der jüdischen Familie von der Walde deren im 1. Stock der Löhrstraße 28 betriebene Speisewirtschaft mit Pension. Die Stadt hatte aber den Betrieb nur unter sehr einschränkenden Bedingungen gestattet. Die Speisegaststätte und die Pension durften nur von Juden betreten werden. Dass sie überhaupt von Juden besucht werden durften, lag daran, dass denen von „arischen“ Gastwirten betriebene Restaurants verschlossen waren. Da – jedenfalls damals noch – Juden irgendwo auswärts essen und übernachten können mussten, ließ man solche Einrichtungen „nur für Juden“ zu. Einen solchen Betrieb unterhielten die Ramlers hier.

Wenn sie auf diese Weise auch etwas Fuß fassen konnten, so war die Situation für die Ramlers – wie für die Ostjuden insgesamt – doch prekär. Sie hatten eine noch schwächere Position als die einheimischen Juden, denn die Ostjuden besaßen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie waren weiterhin meist polnische Staatsangehörige - und das war das Problem und wurde auch für die Familie Ramler zum Problem. 

Der polnische Staat hatte keinerlei Interesse, die in Hitler-Deutschland schlecht und recht lebenden Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit wieder aufzunehmen. Im Gegenteil erging im März 1938 in Polen ein Gesetz, wonach den im Ausland lebenden Bürgern die polnische Staatsangehörigkeit aberkannt werden konnte. Die Lage spitzte sich dann noch zu, als die polnische Regierung verkündete, dass Pässe von Auslandspolen, die nicht vor Ende Oktober 1938 eine spezielle Genehmigung zur Einreise nach Polen hatten, ungültig würden. Das brachte die Gestapo auf den Plan. Um zu verhindern, dass die so staatenlos werdenden Polen in Deutschland bleiben konnten/mussten, wurde allen Städten und Gemeinden befohlen, die Betroffenen festzunehmen und abzuschieben. Die Nazis nannten das „Polenaktion“. 

Von dieser Nazi-Aktion war auch die Familie Ramler. Vater Markus, Mutter Tauba und die Söhne Manfred und Helmut betroffen. Sie wurden festgenommen und an die polnische Grenze „verfrachtet“. Näheres dazu wissen wir nicht. Sie teilten das Schicksal vieler Leidensgenossen und davon wissen wir folgendes:

Diese Menschen polnischer Staatsangehörigkeit – es waren im ganzen Deutschen Reich etwa 18.000 – wurden in schwer bewachten Zügen und Lastwagen zur deutsch-polnischen Grenze bei Zbąszyń (deutsch: Bentschen) abtransportiert und hinübergejagt. 

Die unvorbereiteten polnischen Grenzbeamten verweigerten den Abgeschobenen zunächst mit Waffengewalt den Übertritt, die Deutschen verhinderten andererseits deren Rückkehr. So mussten diese Menschen tagelang ohne Nahrung in den überfüllten Grenzbahnhöfen oder im Niemandsland warten, bis die polnischen Behörden sie passieren ließen. Ein Teil kam in den nächsten Tagen bei jüdischen Gemeinden in Polen unter, etwa 7.000 Personen brachte man in ein Lager in Grenznähe. Die anderen durften später für kurze Zeit nach Deutschland zurückkehren, um ihre Verhältnisse hier noch zu regeln. Die Ramlers kehrten nicht nach Koblenz zurück.

Von dieser sog. Polenaktion Ende Oktober 1938 war übrigens auch die in Hannover wohnende Familie Grynszpan betroffen. Das war die Familie von Herschel Grynszpan, der seit einiger Zeit in Paris lebte und deren Schicksal für ihn Anlass war, wenige Tage später das Attentat auf den Legationssekretär vom Rath zu verüben. Dessen Tod war den Nazis ja der Vorwand für die Novemberpogrome (am 9./10. November 1938, „Reichspogromnacht“).

Titelseite des Koblenzer Nationalblatts vom 12./13. November 1938.