6. Station: Görgenstraße 6 - Familie Alfred Stern

Wir gehen jetzt die Pfuhlgasse weiter und biegen nach wenigen Schritten in die Görgenstraße links ein. Dort bleiben wir nach wenigen Metern auf der linken Seite stehen.
 

Hier an dem Geschäftshaus an der Ecke liegen zwei Stolpersteine. Die Adresse ist Görgenstraße 6, die Stolpersteine sind für das jüdische Ehepaar Stern.

Stolpersteine für die Eheleute Alfred und Ida Stern, geb. Salomon.

Die Sterns waren keine gebürtigen Koblenzer, sondern erst Ende der 1930er Jahre zugezogen. Der 1889 geborene Alfred Stern stammte aus Meudt, die 1895 geborene Ida, geb. Salomon, aus Kettig. Alfred Stern war Soldat im Ersten Weltkrieg und Nachrichtenmelder vom Gefechtsstand zur Frontlinie. Er wurde viermal verwundet, machte aber immer weiter. Nach dem Ersten Weltkrieg heiratete er seine Frau Ida, beide ließen sich in Nickenich nieder. 

Eheleute Alfred und Ida Stern, geb. Salomon, Hochzeitsfoto, 1922

Dort war der Ehemann Viehhändler und „nichtoffizieller“ Tierarzt. 1924 kam der Sohn Günther zur Welt. 

Nach der Machtübernahme der Nazis und dem „Judenboykott“ ab dem 1. April 1933 ging das Geschäft der Sterns immer mehr zurück. Die Familie wurde zunehmend isoliert und geschnitten. Sohn Günther war das einzige jüdische Kind in der Schule und hatte bald keine Spielkameraden mehr. Trotz der zunehmenden Schikanen und Diskriminierungen glaubte Vater Alfred, als tapferer Soldat im Ersten Weltkrieg nichts befürchten zu müssen. 

Beim Novemberpogrom (9./10. November 1938, „Reichspogromnacht“) musste er bitter erfahren, dass er sich geirrt hatte. Wie viele jüdische Männer auch wurde er festgenommen und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Sein Sohn Günther durfte die örtliche Volksschule nicht mehr besuchen. 

Daraufhin zog Mutter Ida mit Sohn Günther zu ihrem Vater nach Koblenz-Lützel. Als nach einiger Zeit Vater Alfred aus dem KZ Dachau entlassen wurde, blieb die ganze Familie in Koblenz. Sie taten es wie viele Landjuden vor und erst recht nach dem Novemberpogrom: Sie verließen ihre Dörfer und zogen in die Stadt in der Hoffnung, dort in der Anonymität unbehelligt zu bleiben und besser die Ausreise vorbereiten zu können. 

So dachten auch die Sterns und bemühten sich um Papiere für eine Emigration in die USA. Das Verfahren zog sich hin und blieb letztlich erfolglos. Auch meldeten sie Sohn Günther für einen Kindertransport nach England an. 

Zur Untätigkeit verdammt, hielt es Günther nicht mehr zu Hause aus. Er machte sich aus freien Stücken zu Fuß auf, um nach England zu gelangen. In den Niederlanden kam er aber nicht weiter und kehrte um. Schon bald gelang ihm aber, einen Platz in einem offiziellen Kindertransport zu erhalten. Wie insgesamt etwa 10.000 deutsche, österreichische und tschechische Kinder kam er so noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges nach England. Seine Eltern Alfred und Ida begleiteten ihn noch zur Abfahrt vom Kölner Hauptbahnhof. Wie alle Kinder hatte er nur ein Köfferchen mit den nötigsten Sachen dabei, dazu eine Reichsmark und ein Bild, das Hochzeitsfoto seiner Eltern von 1922. Die Eltern standen auf dem Bahnsteig und sagten ihm Lebewohl. Das letzte, was er hörte, war sein Vater, der zur Mutter sagte: „Keine Tränen bis er weg ist!“

Ausweis von Günther Stern.

Auch Sohn Günther fiel der Abschied von seinen Eltern sehr schwer. Aber bei seiner Pflegefamilie in England traf er es gut an.

 

Günther Stern mit seiner englischen Pflegefamilie.

Später wurde er gar ein angesehener englischer Bürger und Unternehmer.

Joe Sterling mit der Weste des Lions Club. 

Für seine Eltern hier in Koblenz wurde die Situation aber immer bedrohlicher, auch ihr Briefverkehr nach England immer spärlicher. Vater Alfred wurde 1941 sogar wegen eines Verstoßes gegen eine „Verordnung über den Nachrichtenverkehr“ von der Gestapo verwarnt. Im letzten Brief, den er von seinen Eltern erhielt, erfuhr Günther, dass sie in dem von Deutschland besetzten Polen angesiedelt werden sollten. 

Tatsächlich wurden Alfred und Ida Stern mit der 1. Deportation mit 335 namentlich bekannten Menschen jüdischer Herkunft und einem namenlosen Baby aus Koblenz und Umgebung am 22. März 1942 „nach dem Osten“ verschleppt. Das Ziel dieses Transportes war das Durchgangsghetto Izbica bei Lublin in dem von den Deutschen besetzten Polen, dem Generalgouvernement. 

Karteikarte der Gestapo Koblenz betr. Alfred Stern.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

 

Vorder- und Rückseite der Kartekarte der Gestapo betr. Ida Stern.
(Quelle: Excl. Lizenz: Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen).

Wer mehr über Günther Stern/Joe Sterling erfahren will, dem empfehlen wir HIER seine Kurzbiografie auf dieser Homepage

und seine Biografie auf Englisch:

Phyllida Scrivens: Escaping Hitler: A Jewish Boy’s Quest for Freedom und his Future, 2016.